Die neue arabische Welt
frei.
Zwei Wochen später wurde Schisawi angeklagt, zusammen mit 26 anderen, wegen Brandstiftung, Plünderung, Aufruf zur Gewalt. Ihm droht Gefängnis, bis zu sieben Jahre sind möglich. »Vielleicht läuft es wieder wie sonst«, sagt er. »Erst verurteilen sie uns zu harten Strafen, um uns einzuschüchtern, und dann spricht uns der Sultan nach einer Weile großmütig frei.« Schisawi, 51, saß schon einmal 19 Monate im Gefängnis, weil er eine Verfassung gefordert hatte. Er will Reformen, den Sturz des Sultans fordert er nicht, aber die Kritik, sagt er, ziele zunehmend auch auf
den Monarchen selbst. »Und die Regierung reagiert jetzt härter.«
Wie sich das anfühlt, musste Basma al-Radschhi, 33, erleben. Sie ist Radiomoderatorin und Gründungsmitglied der »Omanischen Vereinigung für Reform«. In der zweiten April-Woche hielten vermummte Sicherheitskräfte ihr Auto an, zerrten sie und den Aktivisten Said al-Haschmi in einen Bus, fuhren in die Wüste, verprügelten sie und traten sie mit Füßen. »Wenn du so weitermachst, dann bringen wir dich um«, drohten die Männer. Dann fuhren sie davon.
Zwei Nackenwirbel Haschmis sind verschoben, Radschhi hat blaue Flecken am ganzen Körper, aber vor allem ist ein Glaube zerstört: dass der Oman ein Land ist, in dem man sich vor der Polizei nicht fürchten muss. »Man wird hier normalerweise nicht direkt bedroht«, sagt Radschhi. »Sie machen es auf sanfte Weise: Sie üben Druck auf deine Familie aus, auf deine Freunde, auf deinen Stamm, damit sie dich überzeugen, von Kritik abzulassen.« Der Sultan herrscht mit der eisernen Keule von Harmonie und Einheit. Kritik an ihm wird strikt unterbunden, die Medien berichten in diesen Tagen noch mehr als ohnehin von den guten Taten des Monarchen.
Hussein al-Abri, 38, ist Psychiater und Schriftsteller. Er ist eine Art Experte für die omanische Seele, und im Moment, sagt er, sei diese Seele in Aufruhr. Viele Omaner seien tief verunsichert von den Protesten, aber auch von den Reaktionen des Regimes. Kann er vielleicht die Frage beantworten, warum die Proteste im Oman so viel sanfter sind als anderswo in Arabien?
Darauf wisse auch er keine richtige Antwort, gesteht der Psychiater. Möglicherweise liege es daran, dass man nie gelernt habe, offen über Politik zu reden. »Viele Menschen sind wie hypnotisiert, sie sehen den Sultan als Vater und
trauen sich nicht aufzubegehren.« Doch innerlich, sagt Abri, brodele es in den Menschen. Sie merkten, dass sie vom Reichtum ihres Landes immer weniger abbekommen, dass sie nichts zu sagen haben und dass vieles vor ihnen geheimgehalten wird.
Unbekannt sei, wie politische Entscheidungen getroffen werden oder wie viel Geld der Sultan und seine Familie ausgeben. Zahlen über Drogen- und Alkoholabhängige, Unfalltote und Verbrechensopfer könnten nur geschätzt werden, bis vor einigen Jahren waren diese Themen komplett tabu. Der größte Unbekannte aber ist der Sultan selbst. Nur einmal im Jahr tritt er mit einer Rede vor sein Volk, den Rest des Jahres schaut er aus einer Ecke der Kommentarseite der »Times of Oman«. Dort werden jeden Tag einige Absätze aus seinen Reden gedruckt.
Als volksnah wird der Sultan gern beschrieben, weil er im Winter mit viel Pomp durchs Land fährt und seine Untertanen trifft. »Das ist eine riesige Show«, sagt Abri. »Die Teilnehmer werden vorher genau ausgewählt, und es wird ihnen gesagt, worüber sie reden dürfen und worüber nicht.« Ansonsten weilt der Sultan in einem seiner Paläste oder auf seiner Motoryacht, der drittgrößten der Welt. Er legt keine Grundsteine, eröffnet keine Schulen, verleiht keine Orden, all das, was sonst zu den Pflichten eines Monarchen gehört. Zu den Protesten hat er bisher geschwiegen.
Kann ein autoritäres System trotzdem gut sein für die Menschen, wenn der Herrscher im Grunde gut ist? Der Sultan sei sicher ein weiser Mann, sagt Abri und lächelt. Allerdings setze er sich doch vor allem für das ein, was ihn persönlich interessiere. Eine Oper werde gerade für 1,8 Milliarden Euro gebaut, sagt Abri. »Aber die Menschen haben andere Sorgen als klassische Musik.« Wer sein Auto nicht wäscht oder Müll wegwirft, muss Strafe zahlen. »Korruption
der Regierung dagegen wird nicht verfolgt, obwohl es Belege dafür gibt, dass Minister und Berater des Sultans sich bereichern.«
Trotzdem hält sich das Märchen vom guten Sultan beharrlich. Das liege auch daran, dass sich eine fein eingespielte Maschinerie um sein Image kümmere,
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