Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt
fehlten ihm zwei Finger, und seine größte Sorge war weniger sein Seelenheil (oder gar das meine) als sein unmäßiger Stuhlgang, der ihn mindestens sechs-bis siebenmal am Tag von seiner Arbeit fortriß. Da war es nötig, daß jemand während dieser Zeit seine Aufgaben übernahm, und dieser jemand war ich.
Es gab noch einen zweiten Knecht in seinen Diensten, einen mürrischen Mann, viel älter als ich selbst. Er behauptete, er habe mit den Spaniern die Mauren aus Granada vertrieben und an der Seite Vasco da Gamas das Kap der Guten Hoffnung umschifft. Was immer davon auch der Wahrheit entsprach – er verstand es meisterlich, mit Schwert und Dolch umzugehen. Stets, wenn der alte Mönch sich zur Verrichtung seines leidigen Geschäfts in die Wälder schlug, berichtete mir mein Gefährte von seinen Abenteuern in fremden Ländern, an der Seite großer Heroen und in den Armen schöner Frauen. Sicher entstand damals schon der Wunsch in mir, es ihm einmal gleichzutun. Schließlich faßte ich mir ein Herz und bat ihn, mich in der Kunst des Kampfes zu unterweisen, und zu meiner Freude willigte er ein. So lernte ich leidlich, mit der Klinge zu spielen, mit dem Bogen zu schießen und mich auf dem Rücken eines Pferdes zu halten. Letzteres wohl nur mit Vorbehalt: Zur Übung diente mir des Mönchs Brauereigaul, ein lahmes, behäbiges Tier, das selbst die Großmutter des Kaisers Maximilian hätte reiten können.
Ein guter Bierbrauer wäre nie aus mir geworden, doch der Mönch zahlte mir zwei Gulden im Monat, mehr, als mancher Handwerksknecht von seinem Meister erhielt. Davon lebte ich und konnte stets ein paar Kreuzer beiseite legen. Mehr noch: Der gute Mann war so freundlich, mir ein kleines Vermögen von dreißig Gulden zu hinterlassen – mit der Auflage allerdings, mir davon ein Studium an der Universität zu Wittenberg zu finanzieren. Der Alte war ein guter Freund eines hiesigen Doktors der Theologie, und jener nahm mich unter seine Fittiche, zahlte mir monatlich einen Teil meines Erbes aus und sorgte dafür, daß ich meine Zeit tatsächlich mit dem Lesen kluger Schriften verbrachte, statt mit Kumpanen durch die Schänken zu ziehen und mich an den Freuden des Lebens zu ergötzen. Heute weiß ich dies zu schätzen, damals aber verging kein Tag, an dem ich meinem Gönner nicht Pest und Syphilis an den Hals wünschte. Freilich war ich dankbar genug, um zu erkennen, daß er es gut mit mir meinte, und im großen und ganzen kam ich all meinen Pflichten nach. So wurde aus Wagner, dem Waisenkind und Bierbrauer, Wagner, der Studiosus.
Doch genug davon. Ich spanne Euch auf die Folter (ein Wortspiel, übrigens, mit dem gerade ich nicht spaßen sollte, geriet ich doch selbst oft genug in die Fänge derselben).
Ihr wollt wissen, wie es dem Faustus erging?
So höret denn von meinem heldenmutigen Versuch, ihn aus dem Kerker zu befreien.
***
Das Gefängnis lag unweit des Augustinerklosters im Osten Wittenbergs, eingelassen in die Stadtbefestigung. Es war ein grobgemauerter, zweigeschossiger Bau, in dessen oberem Stockwerk der Hauptmann der Stadtwache residierte. Auf ebener Erde gab es einige Zellen mit vergitterten Luken, doch der Hauptteil der Kerkeranlagen lag unterirdisch, besaß keine Fenster und war, wie ich schon bald erfahren sollte, ein ganz und gar unleidlicher Ort.
Es gibt wenig, womit ich meinen heillosen Leichtsinn entschuldigen kann. Denn wer ist unter gewöhnlichen Umständen schon so dumm, einen Gefangenen der Inquisition aus einem bewachten Stadtkerker befreien zu wollen? Nun, genau das war mein Plan – das heißt, weniger der meine, als jener meines damaligen Mäzens. Tatsächlich war ich dem guten Mann zu einigem Dank verpflichtet, wiewohl ich niemals mein Leben für ihn aufs Spiel gesetzt hätte – unter gewöhnlichen Umständen, wie gesagt. Leider waren eben die Umstände gegen mich. Tatsächlich erpreßte mich der alte Sack – Gott erbarme sich seiner Seele! – und drohte mir, das Erbe meines Lehrherrns einzubehalten, falls ich ihm nicht mit einer kleinen Gefälligkeit zur Seite stünde. Diese kleine Gefälligkeit war, wie Ihr Euch denken könnt, Faustens Befreiung. Nichts weiter als das.
Mir liegt nicht viel an Reichtum und Besitz, und ich liebe das Leben. Zweifellos hätte manch anderer in meiner Lage seinen Hut genommen und wäre von dannen gezogen, ohne Geld und ohne Segen, doch dafür mit der Aussicht, noch einige Jahre länger unter den Lebenden zu weilen. Ich aber war jung und übermütig und
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