Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt
nach oben, doch schließlich erreichte ich trotz aller Widrigkeiten eine ummauerte Öffnung im Boden des Kerkerkellers. Eine hüfthohe Brüstung umschloß das Loch. Als ich vorsichtig darüber hinwegblickte, sah ich zu meiner Erleichterung, daß die Kammer leer war. Der Gestank des Schachtes kam mir erstmals zugute; kein Wächter wollte sich in seiner Nähe aufhalten. Langsam und lautlos kletterte ich über die Brüstung, zog das Tuch vom Gesicht und schnappte nach Atem. Die abgestandene, stickige Luft des Verlieses erschien mir herrlich erfrischend und klar.
Ich zog den Dolch. Und obgleich ich nicht gedachte, ihn wirklich einzusetzen, beruhigte mich doch sein Gewicht in meiner Hand. Behutsam, nun wieder durch das Tuch maskiert, schlich ich zur offenen Tür der unterirdischen Kammer und blickte hinaus auf einen Korridor. Rechts und links davon lagen die Zellen der Gefangenen hinter schweren Holztüren. In jeder gab es eine kleine Öffnung, durch die man ins Innere schauen konnte. Ich zählte ein Dutzend Türen. Faustus konnte hinter jeder davon hocken. Ich lauschte auf die Stimmen der Kerkerwächter und hörte ihr rohes Gelächter. Unmöglich, abzuschätzen, wieviele es waren. Ihr Lärmen drang aus einer offenen Tür am anderen Ende des Gangs.
Zwei Fackeln tauchten die Umgebung in flackerndes Halblicht. Ein letztes Mal erwog ich die Möglichkeit umzukehren, dann nahm ich all meinen Mut zusammen und trat in den steinernen Flur. Bei jedem Schritt behielt ich den Durchgang zur Wächterkammer im Blick. Ich trat an die erste Verliestür und sah durch die Öffnung hinein. Der Raum dahinter war dunkel und offenbar unbelebt. Weiter zur nächsten Tür. Dort saß ein bärtiger Kerl und starrte blicklos ins Leere. Noch eine Tür und noch eine.
Hinter der siebten schließlich fand ich jenen, den ich suchte. Faustus stand aufrecht in der Kerkerkammer, als sei er bereit zum sofortigen Aufbruch. Er rührte sich nicht, sah mir aber direkt in die Augen, als ich durch das Guckloch ins Innere blickte. Ein Schauer kroch mir über den Rücken. Hatte er wissen können, daß ich kam? Ahnte er, daß man ihn retten wollte, oder wußte er es gar? Er war ein Magier, natürlich, und Magier vermögen in die Zukunft zu blicken. Folglich mußte er den Ausgang meines Befreiungsversuchs längst kennen.
Er stand da wie erstarrt, kerzengerade, ein Lächeln auf den Lippen. Er trug weite schwarze Kleidung, die an einigen Stellen zerrissen war. Weitere Anzeichen davon, daß er dem Scheiterhaufen nur mit Mühe und Not entgangen war, gab es nicht. Offenbar hatte man ihm Gelegenheit gegeben, sich Ruß und Schmutz vom Leib zu waschen.
Die Zellentür war von außen versperrt. Ich schob den Riegel beiseite und verfluchte insgeheim das schabende Geräusch, das ich dabei verursachte. Aus der Kammer der Wächter erklang grölendes Gelächter. Keiner schien etwas bemerkt zu haben.
Ich zog die Tür auf und erschrak. Faustus stand gleich dahinter, kaum eine Fingerlänge von mir entfernt. Ich spürte seine Nähe wie ein plötzlicher Wechsel von Wärme zu Kälte. Er hatte schneeweiße Haut, und sein Gesicht war lang und kantig wie ein Eiskristall. Sein ganzer Körper schien mir ebenso hoch wie zerbrechlich, leicht wie eine Wasserspinne. Pechschwarzes Haar wuchs in einem wirren Wust über seiner Stirn und fiel hinab bis auf die Schultern. Er war viel jünger als ich erwartet hatte. Auf dem Scheiterhaufen hatte ich ihn nur aus der Ferne gesehen, doch da war er mir sehr viel älter erschienen. Vielleicht lag das daran, daß ein wahrer Magier schlichtweg alt sein mußte; ein langer Bart und tiefe Falten gehörten ebenso dazu wie ein Zauberstab. Faustus besaß nichts von alldem.
Vielleicht, so überlegte ich, hielt er sich auf übernatürliche Weise jung. Möglicherweise war es gar der Teufel selbst, der ihm die ewige Jugend geschenkt hatte. Instinktiv wich ich einen Schritt nach hinten.
Faustus schien die Bewegung so zu verstehen, daß ich Platz für ihn machte, doch tatsächlich hatte ich nur Angst. Er trat an mir vorbei auf den Gang und wandte sich wortlos zu jenem Durchgang, durch den ich gekommen war. Seine Schritte wirkten weder erhaben noch allmächtig; statt dessen strebte er mit allzu menschlicher Eile dem Fluchtloch entgegen.
Ich drückte die Tür zu und legte den Riegel vor. Wieder das verdammte Geräusch. Faustus war bereits in der Kammer am Ende des Flurs verschwunden, als ich mich gleichfalls umdrehte und ihm nachfolgen wollte.
Im selben Moment
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