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Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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glaubte, einer wie der Faustus würde sich zweifellos dankbar erweisen – mit einem magischen Sack voll Gold, beispielsweise, einem, der sich vielleicht von alleine nachfüllt…
    Nun müßt Ihr wissen, daß über Faustus ein ganzer Berg von Gerüchten umging. Es hieß, er könne alles vollbringen, was auch Christus vollbrachte, so oft und wann er wolle. Man munkelte, er habe einige der wichtigsten Zauberbücher verfaßt, etwa Teile des Picatrix und das Secreta secretorum, das lange Zeit dem Aristoteles zugeschrieben wurde. Selbst am Buch der Geheimnisse sollte er beteiligt gewesen sein, was sich allerdings später als Unsinn erwies. Fest steht, er war ein Meister der Kabbala, kannte sich aus in den Lehren der Gnosis und unterhielt freundschaftlichen Beziehungen zu zahllosen Gelehrten und Alchimisten jener Zeit.
    Man erzählte sich, er sei als Sohn armer Bauern zur Welt gekommen, die ihn in ihrer Not dem reichen Bruder seines Vaters in Verwahrung gaben. Jener lebte zu Weimar und hatte selbst keine Nachkommen, so daß er ihn zum Erben seines Reichtums machte und nach Ingolstadt auf die hohe Schule schickte. Faustus sollte dort Theologie studieren, kam aber in unselige Verbindung zu umherreisenden Zigeunern und Tataren, lernte von ihnen das Handlesen und vielerlei weitere Zauber und verlegte sein Studium sodann auf die Astronomie und Astrologie. Auf anderem Gebiet brachte er es gar bis zum doctor medicinae. Faustus galt als ausgesprochener Epikureer und besserte, nachdem er sein Erbe verpraßt hatte, durch Jahrmarktsgaukelei und den ein oder anderen Zauber seinen Geldbeutel auf. Gelegentlich nahm ihn ein Landesfürst auf und erhoffte sich von ihm magischen Beistand gegen Feinde, in Regierungsgeschäften und, allzu oft, im Liebeswerben.
    Viel wurde später über seinen Pakt mit dem Teufel geredet. Faustus, der es durchaus genoß, das eine oder andere Gerücht durch Taschenspielertricks und unheilschwangere Aussprüche zu nähren, äußerte sich niemals dazu, er stritt nichts ab und bestätigte nichts. Nachdem ich ihn eine Weile kannte, hörte ich auf, ihm Fragen darüber zu stellen, denn sie führten zu nichts, außer daß sich seine Stirn umwölkte und ich sein Gepäck tragen mußte. Was keinesfalls heißt, daß ich die Wahrheit nicht doch noch erfuhr.
    Dies also war das, was man sich über meinen künftigen Meister erzählte, abends am Feuer oder bei der Arbeit auf den Feldern. Sein Name geisterte durch Studierzimmer und Gelehrtenstuben, durch Thronsäle und Fürstengemächer. Man kannte ihn im Norden wie im Süden, und die Pfaffen predigten seine Verdammnis von den Kanzeln. Er war Doktor Faustus – Chiromant, Aeromant, Pyromant und Hydromant –, und ich bin stolz auf jedes Jahr, das ich an seiner Seite verlebte.
    Freilich, bis es soweit war, mußte ich ihn erst aus dem verflixten Kerker befreien. Damals versprach ich mir von meinem Gelingen wahrlich nicht mehr als ein paar Gulden und die ein oder andere magische Gefälligkeit.
    So erinnerte ich mich denn an das, was mein Gefährte in den Diensten des Braumeisters mich gelehrt hatte, besorgte mir einen scharfen Dolch, nahm all meinen Witz und Wagemut zusammen und machte mich auf, mein Vorhaben in die Tat umzusetzen.
    Ich erwähnte schon, daß das Gefängnis an die Stadtmauer grenzte. Am Fuße ihrer Außenseite fiel der Boden für einige Schritte steil ab, war bedeckt von dichten Ginsterbüschen und mündete in ein wildwucherndes Geflecht von Hecken und Sträuchern. Von einem Studienkameraden, einem aufstrebenden Mediziner, der einige Jahrzehnte später in der Schlacht zu Mühlberg die Wunden des Herzogs Alba kurieren sollte, hatte ich erfahren, daß es einen schmalen Schacht gab, der vom Gefängnis aus unter der Stadtmauer hindurch bis in eben jenes Buschwerk führte. Dort endete er an einem engen Eisengitter. Mein Freund stand während seiner Studien einem örtlichen Medicus zur Seite, der sich ab und an um die Gesundheit der Gefangenen kümmerte. Bei solchen Besuchen im Kerker hatte er erfahren, daß die Wärter alle Abfälle – vom Nachttopf bis zu Körperteilen – in ein Loch im Boden warfen. Von hier aus gelangte der Müll durch den Schacht bis hinaus an die Außenmauer, wo sich die Flüssigkeiten in die Büsche ergossen, die größeren, festen Bestandteile sich aber im Gitter verfingen. Zweimal im Jahr mußten unglückliche Gefangene in den Schacht hinabsteigen und die entsetzlichen Reste beiseite schaffen.
    Dabei war unter den Eingekerkerten bekannt

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