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Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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geworden, daß sich das Eisengitter durch die jahrzehntelange Nässe und Fäulnis gelockert hatte. Rost hatte die Stangen zerfressen, und es genügte – so zumindest hieß es – ein starker Tritt, um das Gitter zu zerbrechen. Den Gefangenen nutzte dies wenig, denn es war unmöglich, aus ihren Zellen zu entkommen und den Fluchtweg nach außen zu nutzen. Umgekehrt aber mochte es einem Mann durchaus gelingen, von der Außenseite nach innen zu gelangen – ein Vorhaben, das freilich niemand vorhersah.
    Diesen Mangel an Weitsicht gedachte ich mir zunutze zu machen. Ich schlich also nach Anbruch der Dunkelheit durchs Stadttor, schlug mich seitwärts in die Büsche und suchte, bis ich die angegebene Stelle entdeckte. Um ehrlich zu sein – und obgleich das meine Leistung schmälern mag –, dauerte diese Suche nicht allzu lang, denn der Gestank, den der schreckliche Pfuhl verbreitete, lastete weithin über der Gegend.
    Das Gitter glotzte wie ein rundes, schwarzes Auge aus dem Hang. Es maß etwa die Spanne meines Oberkörpers. Davor waren in einem Umkreis von ein bis zwei Schritten sämtliche Pflanzen abgestorben. Mochten Bauern auch Mist auf ihre Felder karren, damit ihre Saat gut gedieh – zuviel des Guten behagte offensichtlich keinem Gewächs. Der Anblick, der sich mir bot, belegte dies zur Genüge.
    Der Boden vor dem Gitter war mit dunkler, ranziger Schlacke bedeckt, ein widerlicher Schlamm aus menschlichen Ausscheidungen, Essensresten und manch totem Aasfresser, dem der Genuß des fauligen Morasts das Leben gekostet hatte. Der Gestank spottete jeder Beschreibung. Wohlweislich hatte ich mir ein Halstuch eingesteckt, das ich mir nun vor Mund und Nase band. Es schmälerte die Tortur nur unerheblich.
    Des weiteren hatte ich mir von einem Nachbarn ein Paar hoher Stulpenstiefel entliehen, als dieser sie abends zum Lüften vor die Tür stellte. Zweifelsohne würde er sich am Morgen wundern, wie sie nach der Lüftung rochen, denn nun stieg ich mit ihnen mitten in die blasige Brühe. Fädenziehend und mit schlürfenden Lauten stiefelte ich vorwärts bis zum Gitter.
    Immer wieder rief ich mir die Drohung meines Oheims ins Gedächtnis: Brachte ich Faustus nicht wohlbehalten zum vereinbarten Treffpunkt, sähe ich keinen müden Kreuzer mehr. Die Aussicht, fortan auf alle Bequemlichkeit verzichten und für mein Auskommen arbeiten zu müssen, trieb mich schleunigst vorwärts. Der alte Schweinehund hatte mich vollends in seinen geizigen Klauen.
    Ich erreichte das Gitter und umfaßte es mit beiden Händen (die Handschuhe hatte ich am Nachmittag auf dem Markt, nun ja, erstanden). Ich zerrte und ruckte, der Schweiß quoll mir aus allen Poren, doch schließlich gaben die ersten Eisenstreben nach. Mit einem häßlichen Knirschen brach das durchrostete Gitter aus seiner Verankerung. Ich stemmte es verächtlich zur Seite und blickte angstvoll in den Schacht, der sich dahinter auftat. Zwei Ratten sprangen aufgescheucht zur Seite.
    Vor mir lag eine enge Röhre, annähernd rund und einen guten Schritt im Durchmesser. Sie führte ziemlich steil nach oben, doch die Wände waren grob und kantig, so daß sie Fingern und Füßen reichlich Halt bieten mochten. Andererseits waren sie fingerdick mit fettigem Auswurf und allerlei Pilzen bedeckt, was jeder Kletterei zuwiderwirkte. Bevor ich aber auch nur den Versuch wagen konnte, mich durch den Schacht in die Höhe zu schieben, mußte ich erst über einen kniehohen Haufen von Unrat steigen, der sich hinter dem Gitter verfangen hatte. Ich wagte nicht, seine Bestandteile genauer zu betrachten. Die Versuchung, meinen Wohlstand fahrenzulassen, unverrichteter Dinge umzukehren und meinem Vormund zu erklären, wohin er sich seine Gulden schieben könne, war übermächtig. Trotzdem ging ich weiter.
    Im Schacht herrschte völlige Dunkelheit. Es gelang mir tatsächlich, mich mühsam entlang der Schräge in die Höhe zu schieben, wenngleich mir die Enge und der wahrlich teuflische Gestank zu schaffen machten. Jeden Augenblick erwartete ich, daß man von oben eine weitere Ladung von Nachttöpfen über mich entleeren würde. Doch – welch Glück im Unglück! – der gefürchtete Moment blieb aus.
    Schließlich schien mir trübes Fackellicht entgegen, gelblich und zuckend, und da wußte ich, daß ich zumindest die erste Hälfte meines Weges bewältigt hatte. Die Vorstellung, dieselbe Strecke wieder zurückklettern zu müssen, stimmte mich nicht eben hoffnungsvoll.
    Das letzte Stück des Schachtes führte senkrecht

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