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Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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und bat ihn, falls es ihm recht sei, einige der Lücken zu füllen.
    Er schloß für einen Moment die Augen, machte aber nicht klar, was er davon hielt, daß wir in so vieles eingeweiht waren. »Delphine hat schon immer gerne mit ihrem Wissen geprahlt«, sagte er schließlich, beinahe zu sich selbst.
    »Dann kanntet ihr sie schon lange?« fragte ich behutsam.
    »O ja«, erwiderte Faustus, ohne aber näher darauf einzugehen. In seinen Augen erschien ein Ausdruck, den ich bei jedem anderen als Verklärtheit gedeutet hätte. Aber bei Faustus? Unmöglich. Einem Mann wie ihm konnte keine Frau etwas bedeuten, mochte ihre Verbindung auch noch so lange zurückliegen. Die Vorstellung, er könnte eine Geliebte in seinen dünnen, langen Armen halten, war undenkbar. Faustus war ein Magier und hatte kein Bedürfnis nach derlei diesseitigen Gelüsten. Oder doch? Sein kurzes »O ja« verwirrte mich mehr als jede seiner alchimistischen Lektionen.
    »Erzählt uns von den anderen Schülern des Traumvaters«, bat ich unsicher.
    Faustus nickte, während seine Gedanken immer noch anderswo weilten, irgendwo in der Vergangenheit. Schließlich aber begann er zu erzählen.
    Demnach hatte Adelfons Braumeister, der grauhäutige Knochenmann, lange Zeit im Dienste des Hofes gestanden und als Amtsmann trockene Regierungsgeschäfte erledigt. Er war nie in wichtiger Stellung gewesen und lebte mit der Tristesse seiner Existenz wohl in rechtem Einklang, bis er während einer Reise zu den Fürstentümern im Süden des Reiches den Traumvater traf. Wie bei all den anderen wußte Faustus nichts über die Einzelheiten dieser Begegnung oder über die Art der Unterweisung, die Braumeister erfuhr. Seitdem aber wollte der Amtsmann in seinen Träumen gelesen haben, daß er der letzte Sproß eines alten Albengeschlechtes sei. Faustus schmunzelte, als er dies erzählte, und fügte hinzu: »Könnt ihr euch das vorstellen? Ausgerechnet Adelfons Braumeister, der in solch spröden Bahnen denkt, daß ihm bei jedem Wort Staub von den Lippen wehen müßte – ausgerechnet er hält sich für den Nachkommen eines Fabelwesens!«
    Als Sonderling unter Sonderlingen galt auch Nicholas Erasmo, ein musikalischer Virtuose. Seit seiner Kindheit lebte er am Hofe zahlreicher Fürsten, mal bei diesem, mal bei jenem, und erfreute sie alle mit seinen Singspielen und melodischen Versen. Wer ihn nicht kannte, mochte ihn für einen verschrobenen Künstler halten. Faustus aber warnte uns vor ihm: »Nicholas steht an der Schwelle zum Wahnsinn, und er selbst weiß das am besten. Er hat Anfälle, fast täglich, und die beiden Mädchen, mit denen er reist, haben sicher einiges zu erdulden.«
    »Sind sie wirklich seine Töchter?«
    Faustus schüttelte den Kopf. »Nicholas ist ein Heuchler. Er hat nie in seinem Leben ein Kind gezeugt, zumindest keines, von dem ich wüßte – und ich weiß vieles über ihn. Er hält sich Gespielinnen, je jünger, desto lieber. Die Zwillinge scheinen seine neuesten Errungenschaften zu sein.«
    Ich verzog das Gesicht. »Das ist abscheulich.«
    Mein Meister verscheuchte mit seiner Hand eine Ratte, die sich schleichend seinem Stiefel genähert hatte. »Hättest du wie ich einen Blick in so manches Fürstengemach und Lustschloß der Edelleute getan, so wüßtest du, daß es weit Schlimmeres gibt.«
    Er beließ es bei seiner Andeutung, und ich nahm mir vor, ihn an einem späteren Tag darüber zu befragen.
    Über Schwester Walpurga war Faustus nur wenig bekannt. Er wußte kaum etwas, das über das hinausging, was wir bereits von Gwen erfahren hatten. Walpurga – was nicht ihr wahrer Name war – hatte einst in einem Kloster gelebt, irgendwo im Hessischen. In ihren Träumen hatten sie des Nachts Bilder der Hölle und Verdammnis geplagt, so daß sie ihr Heil beim Traumvater suchte, der eines Tages im Kloster um Unterkunft bat. Er nahm sie als Schülerin an, Walpurga verließ ihre Schwestern und öffnete sich ganz ihren Visionen. Sie änderte ihr Leben von Grund auf und verschrieb sich dem Leibhaftigen, dem sie nun als Hexe und Kupplerin diente.
    »Unser Freund Asendorf hätte seine Freude an ihr«, bemerkte Faustus trocken.
    Ariane von Lunderbusch war eine gelangweilte Adelige, bis sie in den Bann des Traumvaters geriet und entgegen ihres trägen Äußeren eine hohe Begabung für die Beherrschung ihrer Träume entwickelte. Unter den Schülern galt sie als diejenige, die am meisten Aussicht darauf hatte, vom Vater in die höheren Sphären seiner Kunst eingewiesen zu

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