Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater
Unglück geschlittert. Insgeheim verfluchte ich Faustus für seinen Beschluß, hierherzukommen. Falls es ihm wirklich um die Krone des Schlangenkönigs ging, so mochte sie noch so prachtvoll, noch so wertvoll sein, unser Leben ließ sich kaum damit aufwiegen. Um den Wegzoll nach Rom zu begleichen, gab es andere Mittel. Hatte ich ihm gegenüber nie erwähnt, daß ich mich gut darauf verstand, reichen Kaufleuten ein wenig von ihrem Eigentum abzuzwacken? Wir waren ohnehin Gejagte, welchen Unterschied machte da schon ein kleiner Diebstahl? O ja, ich verspürte in der Tat gehörigen Zorn auf meinen Meister.
Wieder einmal war es Angelina, die ihre Vernunft als erste beisammen hatte und eine Entscheidung fällte. Sie sprang auf und stieß mich an, damit ich ihr folgte. Zu meinem Entsetzen lief sie die Treppe hinunter.
»Warte!« verlangte ich leise. »Die sind alle dort unten! Wir können nicht…«
Doch da hatte sie bereits ihre Hand erhoben und mir fest auf den Mund gedrückt. Keine Zeit für Gerede, hieß das.
Nun gut, dachte ich beleidigt, vielleicht war es ganz gut, ihr die Führung zu überlassen. Immerhin war sie ein Kriegsengel des Borgia und ich nur ein armer Waisenjunge.
(Euch, verächtlicher Leser, mag es erscheinen, als sei ich in dieser bedrückenden Lage nicht fähig gewesen, selbst für mein Wohlergehen zu sorgen. Ja, es mag klingen, als hätte ich die Verantwortung für mein Leben eilfertig auf das Mädchen geschoben. Doch da kennt Ihr den Wagner schlecht! Wie oft riskierte ich meine Haut für andere, uneigennützig und voller Edelmut! Selbst als ich einst Faustus aus dem Wittenberger Kerker befreite, da dachte ich nur an seine Rettung. Nun, freilich, auch an ein wenig Reichtum und Ruhm, doch was hieß das schon angesichts meiner heroischen Tat? Was ich sagen will: Ich war stets der Ansicht, daß man auch dem schwachen Geschlecht die Möglichkeit geben soll, seinen Mut unter Beweis zu stellen. Auch Weiber müssen lernen, Verantwortung für andere zu tragen! Und, glaubt mir, eben diese Gedanken gingen mir durch den Kopf, als ich Angelina zitternd durchs Treppenhaus folgte.)
Im Erdgeschoß verharrten wir und horchten aufmerksam in die Tiefe. Weit, weit entfernt drangen Wortfetzen aus den Kellergewölben zu uns herauf. Eilig setzten wir unseren Weg fort, ehe die Schüler des Traumvaters aus der Gruft zurückkehren und uns auf den Stufen begegnen konnten. Zu unserem Glück hatten sie auf ihrem Abstieg nach unten einige der Fackeln entzündet, die in weiten Abständen in Halterungen an den Wänden steckten. Zwei davon nahmen wir an uns und hatten fast den Fuß des Sockels erreicht, als wir vor uns auf der Treppe Schritte hörten. Entsetzt starrten wir uns an, einen Augenblick lang unentschlossen, ob wir weiterlaufen und hoffen sollten, die Mündung zum Gang als erste zu erreichen, oder ob es besser sei, umzukehren und uns zu verbergen.
Die Schritte näherten sich schneller als erwartet, und so blieb uns nur, in aller Eile die Stufen zum Erdgeschoß wieder hinauf zuspringen und hinaus in den Saal zu laufen. Wir löschten die Fackeln mit unseren Füßen und sahen uns um. Der Geruch des Blutes hing in der Luft, trotz der Entfernung. Rechts und links vom Eingang standen zwei rostzerfressene Rüstungen. Die linke hatte bereits einen Arm verloren; er lag zerschellt am Boden, neben ihrem Holzsockel. Es waren mehr als bescheidene Verstecke, doch uns blieb keine andere Wahl. So schnell wie möglich zwängten wir uns zwischen Wand und Rüstungen, Angelina links von der Tür, ich auf der rechten Seite. Von hier aus konnten wir nicht ins Treppenhaus blicken. Wir mußten uns allein auf unsere Ohren verlassen.
Die Schritte verharrten kurz vor dem Eingang. Obwohl ich nicht sehen konnte, wem sie gehörten, spürte ich doch, daß es nur ein einzelner Mensch sein konnte, nicht etwa mehrere. Ich hielt den Atem an. Derjenige, der dort vor der Tür stand, kaum drei Schritte von mir entfernt, mochte einer der sechs verbliebenen Schüler sein – oder auch der Mörder. Mein Herzschlag raste vor furchtsamer Aufregung. Ich konnte heftiges Atmen hören, rasselnd von der Anstrengung des Treppenaufstiegs. So erstarrt war ich in meiner Angst vor Entdeckung, daß ich nicht einmal den Kopf wenden konnte, um zu sehen, wie es Angelina erging.
Worauf, um Himmels willen, wartete er?
Oder war es eine Frau? Ariane kam nicht in Frage. Das Schnaufen des Tiermenschen klang anders. Blieb also von den Frauen nur Walpurga.
Ganz gleich ob Weib
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