Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater
werden – so es ihm denn wirklich um einen Nachfolger ging.
»Was ist das für ein Biest, das sie umherträgt?« fragte ich. Allein der Gedanke an Sisyphos bereitete mir Unbehagen.
»Sie behauptet, er sei einer der Kerkopen«, sagte Faustus lächelnd, »aber das ist natürlich Unfug.«
»Was sind das… Kerkopen?«
»Ein Volk, das im alten Griechenland gelebt haben soll. Seine Männer waren berüchtigt für ihre Hinterhalte und Raubzüge. Kein Reisender, der durch ihr Gebiet zog, kam mit dem Leben davon. Als Königin Omphale davon erfuhr, befahl sie dem Helden Herakles, gegen die Kerkopen zu ziehen. Es soll ihm tatsächlich gelungen sein, den ganzen Stamm zu besiegen, viele zu töten und einen Teil gefangenzunehmen. Als Strafe für ihre Untaten wurden sie vom Göttervater Zeus in Affenmenschen verwandelt.« Faustus schüttelte belustigt den Kopf. »Ariane erzählt nun jedem, ganz gleich ob er fragt oder nicht, Sisyphos sei einer der verzauberten Kerkopen. Tatsächlich aber ist er nur ein Tier, dessen Vorfahren von Kreuzrittern aus einem Sultanspalast in ihre Heimat verschleppt wurden. Gelegentlich stößt man zu Hofe auf einen dieser Riesenaffen, obgleich man es ihnen nicht immer gleich ansieht.«
Ich lachte leise über die Anspielung, wartete aber schweigend, bis Faustus auch die übrigen Traumschüler vorstellte.
Während ihm zu Delphine nur zu entlocken war, daß sie eine Hellseherin gewesen sei – also weniger, als uns ohnehin längst bekannt war –, wußte er über den alten Mann einiges mehr zu berichten.
Er nannte sich Jheronimus Bosch, wenngleich sein wirklicher Name Jeroen van Aken war. Er stammte aus dem Herzogtum Brabant, weit im Westen des Reiches. Bosch galt überall als angesehener Maler religiöser Motive und war wohl über sein Talent zu einigem Reichtum gelangt. Faustus schwärmte in höchsten Tönen von seinen Darstellungen der Hölle, von Dämonen und Teufeln, die Bosch bis in die kleinste Einzelheit in seinen Bildern festhielt. Die Fähigkeit dazu hatte er, wie kaum anders zu erwarten, vom Traumvater erlernt, der ihm gezeigt hatte, wie er die Kreaturen seiner Alpträume auf der Leinwand bannen konnte. Philipp der Schöne, der viel auf den Maler hielt, schützte Bosch vor den Anschuldigungen der Kirchenhetzer und Prediger, die ihm Besessenheit und Satansdienste nachsagten. Faustus ließ nicht unerwähnt, wie sehr er Bosch auch als Menschen schätzte, und daß er ihm unter den verbliebenen Schülern der liebste sei.
»Dabei wollen wir es belassen«, sagte er schließlich und erhob sich. »Ich habe eure Neugier gestillt, und nun ist es an euch, meinen Wunsch zu erfüllen. Geht ins Gästehaus und wartet dort. Böses wird hier im Schloß geschehen, und ich müßte mich täuschen, stünden uns nicht weitere Morde bevor. Mir liegt wenig daran, daß einer von euch unter den Opfern ist. Ihr habt gesehen, wie es Delphine erging. Laßt euch das eine Warnung sein.«
Damit wollte er sich abwenden und wieder nach oben eilen.
»Wartet noch!« bat ich schnell, selbst auf die Gefahr hin, mich im Ton zu vergreifen. »Warum gehen wir nicht einfach fort von hier? Glaubt Ihr wirklich, daß sich die Krone irgendwo im Schloß befindet?«
»Möglicherweise«, erwiderte er schulterzuckend. »Niemand weiß es genau.«
»Aber wir sind nicht darauf angewiesen.«
»Lieber Wagner«, sagte er nachsichtig, »denkst du etwa, es ginge mir um ihren Wert in Gold?« Er wies den Verdacht mit einer abfälligen Geste von sich. »Mag sein, daß es Reichtum ist, der die anderen hierhergelockt hat, obwohl ich es bezweifle. Bosch und Ariane besitzen soviel Geld, daß sie es kaum ausgeben können. Und zumindest Walpurga mag die wahre Macht der Schlangenkrone erahnen.«
»Dann geht es um Magie?« fragte ich verblüfft.
Er nickte. »Der Schlangenkönig, so es ihn je gegeben hat, war kein Mensch, und seine Krone war kein Menschenschatz. Jedes Wesen, dem es gelingt, das Reich der Legenden zu verlassen und seinen Platz in der Wirklichkeit zu behaupten, besitzt übernatürliche Kräfte. Und mit ihm alles, das es sein eigen nennt. Diese Krone, Wagner, ist ein magisches Artefakt, wie es kein zweites gibt in diesem Teil der Welt. Wie kannst du verlangen, daß ich es hier zurücklasse? In den Händen dieser… Barbaren?«
Plötzlich machte er mir angst. In seinen Worten lag ein Ton, der gefährlich nah an Besessenheit grenzte. Mochte die Krone existieren oder nicht, ihre Macht war deutlich zu spüren. Plötzlich hatte ich Angst um
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