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Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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oder Mann, jetzt machte der Unbekannte einen weiteren Schritt auf die Tür zu. Dann noch einen. Nach dem nächsten würde er neben mir stehen. Meine Beine fühlten sich an wie heißes Wachs.
    Ein dritter Schritt. Obwohl ich den Kopf noch immer nicht drehen konnte, aus Angst, der andere würde die Bewegung bemerken, wußte ich, daß uns jetzt nur noch eine Ellenlänge voneinander trennte.
    Zu meinem Glück schien er in eine andere Richtung zu blicken, auf die Blutlache, nahm ich an.
    Ich schloß die Augen. Wartete ergeben auf meine Entdeckung. Allmählich ging mir die Luft aus. Ich mußte atmen, bald schon, jetzt gleich, sofort.
    Gierig sog ich die Luft ein, doch der andere bemerkte es nicht, denn er setzte sich im gleichen Augenblick in Bewegung. Mein Atmen ging im Klappern seiner Schritte unter.
    Nun sah ich ihn. Der alte Mann mit der Mütze trat schnurstracks auf den verschmierten Blutfleck zu. Ich sah nur seinen Rücken und konnte nicht erkennen, was dabei auf seinem Gesicht vorging. Schließlich ging er neben der Lache in die Hocke, berührte das Blut und verrieb den roten Saft zwischen Daumen und Zeigefinger. Nachdenklich blieb er eine Weile hocken, ehe er sich schließlich erhob.
    Meine Arme und Beine waren eingeschlafen, mein ganzer Körper juckte und kratzte, als sei er von Flöhen befallen. Wenn der Alte sich jetzt umdrehte und zurück zur Treppe ging, mußte er uns entdecken.
    Doch der Mann ging quer durch den Saal zu einem anderen Ausgang, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Dann war er in einer angrenzenden Halle verschwunden. Seine Schritte verklangen in der Ferne.
    Aufatmend wollten wir uns aus unseren Verstecken zwängen, als erneuter Lärm an unsere Ohren drang. Die Schüler kehrten zurück. Unter allerlei Beschimpfungen und Streitereien kamen sie die Treppe herauf. Schon fürchtete ich, auch sie würden den Saal betreten, doch zu meiner Freude und Erleichterung polterten sie an der Tür vorbei und stiegen weiter nach oben.
    Wir warteten noch einen Moment, bis sie weit genug entfernt waren, dann traten wir endgültig hinter den Rüstungen hervor. So schnell wir konnten rannten wir die Treppe hinunter und entzündeten dabei unsere Fackeln an einer der Wandleuchten. Mit eiligen Schritten bogen wir vom Treppenhaus in den Gang, der zur Außentür führte.
    Wir hatten kaum ein kleines Stück zurückgelegt, als Angelina, die vor mir lief, plötzlich wie angewurzelt stehenblieb. Ich blickte über ihre Schulter und entdeckte zu meinem Entsetzen eine Gestalt im schwarzen Mantel, die uns breitbeinig den Weg versperrte.
    »Meister!« entfuhr es mir erschrocken.
    Faustus atmete tief durch, seufzte und kam dann langsam auf uns zu. »Ich hätte es wissen müssen«, sagte er leise.
    »Herr, ich kann alles erklären«, stammelte ich. »Wir waren im Haus, aber wir haben nichts mit dem Mord zu tun und –«
    »Natürlich nicht«, unterbrach er mich barsch, doch seine Stimme klang erheitert. »Glaubst du, ich hielte dich für einen Mörder? Zum Teufel, Wagner, du bist mir ein rechter Schelm.«
    Er trat jetzt in den Lichtkreis der Fackeln. Sein schmales Gesicht schimmerte gespenstisch. Zu Angelina gewandt sagte er: »Ich nehme an, Wagner hat dich überredet, gegen meine Anordnung zu verstoßen.«
    Sie verneinte mit einem Kopfschütteln.
    Ich aber sagte ehrenhaft: »Genauso war es. Es war meine Idee. Ich war neugierig.« Es schien mir eine ungemein edle Geste, alle Schuld auf mich zu laden.
    Tatsächlich war es unnötig. Faustus erduldete unsere Anwesenheit mit unverhoffter Gelassenheit. »Nun seid ihr einmal hier«, sagte er, »und du, Wagner, kannst wahrscheinlich kaum noch Luft holen, soviele Fragen verstopfen dir den Hals.«
    Ich rang mir ein zaghaftes Lächeln ab. »So ist es, Meister.«
    »Dann folgt mir«, gebot Faustus und führte uns weiter den Tunnel entlang Richtung Ausgang.
    Auf halber Strecke blieb er vor einer der offenen Kammertüren stehen und deutete hinein.
    »Hier müßten wir weit genug von den anderen entfernt sein«, stellte er fest. »Sie müssen nicht wissen, daß ihr euch im Haus herumtreibt.«
    Wir gingen mit den Fackeln voran und verjagten einige Ratten aus den Ecken. Die Kammer war klein und vollkommen leer. Feuchtigkeit hatte den Staub der Jahrhunderte zu einer zähen Masse verklebt. Unsere Stiefel hinterließen tiefe Abdrücke. Faustus ging in die Hocke, Angelina und ich taten es ihm gleich.
    »Was wollt ihr wissen?« fragte er freiheraus.
    Ich schilderte ihm, was wir von Gwen erfahren hatten,

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