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Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Wunder – erst der Mord an Delphine, nun ein Anschlag auf mein eigenes Leben. Und weshalb? Weil Faustus einem Gespenst nachjagte, besser: dem Schatz eines Gespenstes.
    Als hätte er meine Gedanken gelesen (ein Verdacht, den ich des öfteren erwog), stand Faustus plötzlich neben uns. Er trat hinter einem zerfallenen Torbogen hervor und eilte mit großen Schritten auf uns zu.
    »Ist euch etwas zugestoßen?« fragte er besorgt. Sein Gesicht verriet, daß er es ehrlich meinte. Wie konnte ich auch daran zweifeln?
    »Alles in Ordnung«, brachte ich müde hervor.
    Das Gesicht meines Meisters glänzte vor Schweiß. Die Flammen spiegelten sich darauf. Es sah fast aus, als trüge er eine Maske, die auf unheimliche Weise zum Leben erwacht war und sich in langsamen, fließenden Wellen bewegte.
    »Wie konnte das geschehen?« wollte er wissen.
    Ich stemmte mich auf die Füße, um nicht zu ihm aufsehen zu müssen. »Ich weiß es nicht. Plötzlich brannte alles. Erst der Dachstuhl, dann auch der untere Teil des Hauses. Mir scheint, jemand hat das Feuer absichtlich gelegt.«
    Mein Meister nickte. »Das ist anzunehmen.«
    »Aber weshalb will man uns töten? Angelina und ich haben kein Verlangen nach der Krone, und wir waren niemals Schüler des Traumvaters.«
    »Ihr seid mit einem hierhergereist«, erwiderte Faustus. »Mag sein, daß dem Brandstifter das genügt. Aber ich glaube nicht, daß er euch töten wollte. Wenigstens noch nicht.«
    Verblüfft starrte ich ihn an. »Aber warum – «
    »Er will, daß ihr ins Haupthaus zieht«, unterbrach mich Faustus. »Mag sein, daß es ihm mißfällt, seine Opfer nicht alle unter einem Dach zu wissen. Hätte er es wirklich darauf angelegt, euch zu ermorden, so glaubt mir, es wäre ihm gelungen.«
    »Und nun?«
    »Wir tun das, was er erwartet. Ihr kommt mit mir ins Haus. Das Zimmer neben meinem steht leer – wie die meisten Räume im Schloß.«
    Verwundert, ja entsetzt widersprach ich: »Das kann nicht Euer Ernst sein! Er wird uns ebenso töten wie Delphine.«
    Faustus schüttelte den Kopf. »Auch ich glaubte, hier draußen wäret ihr sicher, doch das stimmt offenbar nicht. Im Schloß kann ich auf euch achtgeben, zumindest besser als hier. Wo sonst wollt ihr hin? In den Wald? Glaubst du, dort ist es sicherer?«
    »Aber, Herr, Ihr seht doch, wohin das alles führt. Laßt uns abreisen, um Himmels willen…«
    »Nein«, entgegnete er fest. »Der Mörder will uns Angst einjagen. Er will uns verunsichern, damit er leichtes Spiel hat. Doch den Gefallen dürfen wir ihm nicht tun. Wir bleiben.«
    »Es geht Euch nur um die Krone«, erwiderte ich streitlustig, doch Faustus hatte sich bereits abgewandt.
    »Kommt mit«, befahl er leise.
    Wir hatten kaum die halbe Strecke zurückgelegt, da fragte er plötzlich: »Wo ist übrigens Delphines Schülerin? Gwendolin ist ihr Name, nicht wahr?«
    »Ihr kennt auch sie?«
    »Flüchtig.«
    »Sie ist seit gestern abend verschwunden. Als wir ins Gästehaus zurückkehrten, war sie fort. Glaubt Ihr, ihr ist etwas geschehen?«
    Er hob die Schultern, sagte aber nichts.
    Im selben Moment ertönte hinter uns ein ohrenbetäubendes Krachen und Bersten. Ich schaute mich um und sah gerade noch, wie der brennende Dachstuhl in sich zusammenstürzte. Funken stoben in alle Richtungen und gingen als glitzernde Kaskaden zu Boden. Das feuchte Gras löschte ihre Glut. Es bestand keine Gefahr, daß das Feuer weiter um sich griff. Ich bedauerte es fast; mir wäre lieber gewesen, das ganze verfluchte Schloß wäre bis auf den letzten Stein niedergebrannt.
    »Was werden die anderen sagen, wenn Ihr uns mit ins Haus bringt?« fragte ich, während wir das letzte Stück Wegs bewältigten.
    »Mach dir darüber keine Sorgen, Wagner. Nicholas hat seine Lustmädchen, Ariane ihren Menschenaffen – «
    » – und Ihr habt uns. Ein treffender Vergleich«, versetzte ich mürrisch.
    Faustus erlaubte sich ein schales Lächeln. »Sei nicht gleich beleidigt, mein Lieber. Ich verspreche dir, du wirst mich nicht tragen müssen.«
    Woher, in Gottes Namen, nahm er nur mit einem Mal seinen Humor? Faustus war keiner, dem ein Scherz leicht über die Lippen kam. Umso mehr wunderte mich nun seine Bemerkung, ausgerechnet in einer solchen Lage. Er war in der Tat ein Mann der tausend Widersprüche und versetzte mich Tag für Tag in neues Erstaunen.
    Wir stiegen die Freitreppe an der Rückseite des Herrenhauses empor. Das Feuer in unserem Rücken ließ fremdartige Schemen über die Außenwand geistern. Unsere

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