Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater
mißtönend in die Länge, als gelte es, alles Glas im ganzen Haus zum Zerspringen zu bringen.
»Ariane!« fuhr Faustus sie an. »Es reicht! Weder dein Affe noch Adelfons sind in diesem Saal. Ich fürchte, wir werden sie suchen müssen.«
Zum ersten Mal hatten sich alle versammelt, in einem Saal im Erdgeschoß, wenn auch nicht jenem, in dem Delphine gestorben war. Ich bezweifelte, daß einer von ihnen sich herabgelassen hatte, ihr Blut fortzuwischen.
Außer Faustus und Ariane standen auch Nicholas, Schwester Walpurga und der Maler Bosch in einem Halbkreis beieinander. Angelina und ich hielten uns ein wenig abseits. Bei unserem Eintreten hatte uns manch finsterer Blick gestreift, doch niemand fragte nach unseren Namen, und Faustus stellte uns nicht vor.
In einer Ecke des Saales kauerten die Lustzwillinge des Musikers. Sie saßen artig auf einer Bank, deren Bezug längst verrottet war. Die Mädchen mochten allerhöchstens vierzehn Lenze zählen. Sie hatten schwarzes Haar, das ihnen lang und ungemein glatt über Rücken und Brustknospen fiel. Beide trugen hauchdünne weiße Kleidchen, die, obgleich sie bis zum Boden reichten, keine Einzelheit ihrer feingliedrigen Körper verschleierten.
Sie beobachteten die Szene mit riesigen, unschuldsvollen Augen, beinahe verständnislos. Es schien, als habe sich die Natur einen Scherz mit ihnen erlaubt: Die Zwillinge waren sich nicht nur ähnlich, sie waren gleich bis hin zum Fall ihrer Haarsträhnen. Es war unglaublich. Ich fragte mich unwillkürlich, ob Nicholas ihnen Namen gegeben hatte oder ob er Gefallen an der Austauschbarkeit seiner kindlichen Gespielinnen fand.
Der Tag hatte so unerfreulich begonnen wie der vorherige geendet hatte. Wir alle waren von Arianes Geschrei erwacht, als sie festgestellt hatte, daß Sisyphos verschwunden war. Bei der eilig einberufenen Zusammenkunft stellte sich heraus, daß auch der knöcherne Adelfons Braumeister, der einstige Amtsmann und selbsternannte Albensohn, nicht aufzufinden war. Sein Zimmer war unverriegelt, das Bett zerwühlt. Er mochte verschleppt worden sein, oder er hatte sich aus freien Stücken davongemacht. Niemand vermochte darauf eine Antwort zu geben.
Allein Ariane hatte ihr Urteil längst gefällt. Da Braumeister den verschwundenen Affen regelmäßig mit Worten attackiert und seine Verachtung für ihn zum Ausdruck gebracht hatte, glaubte sie, er habe das Tier getötet und irgendwo verscharrt. Daraufhin, so behauptete sie mit Vehemenz, hatte er sich selbst in den Tiefen des Schlosses verborgen, um geduldig abzuwarten und beizeiten erneut zuzuschlagen.
»Adelfons ist der Mörder«, rief sie weinerlich. »Er hat Delphine getötet und nun auch Sisyphos. Der Traumvater ist in ihn gefahren. Glaubt mir doch: Er ist der Mörder!«
Ich horchte auf. Der Traumvater ist in ihn gefahren. Dieser Satz gab mir Rätsel auf. Wie konnte ein Mensch – und ein solcher war doch der Traumvater trotz allem – in einen anderen fahren? Gewiß, es kam vor, daß Teufel und Geister die Körper von Menschen in Besitz nahmen, doch daß ein Mann von einem anderen besessen wurde, davon hatte ich nie gehört.
»Sie könnte recht haben«, raunte Walpurga Nicholas ins Ohr. Ich stand nahe genug bei beiden, um ihre Worte zu verstehen.
Doch auch Faustus, der um einiges weiter von ihnen entfernt war, hatte die Bemerkung der selbsternannten Hexe vernommen. »Adelfons könnte ebensogut der Mörder sein wie du, Walpurga, oder Nicholas oder ich selbst. Gib acht, daß du ihm nicht unrecht tust.«
Die gefallene Betschwester verzog verächtlich den Mund. »Und wenn schon? Den Herrn Beelzebub wird ein wenig Unrecht sicher erfreuen.« Sie kicherte leise.
»Wo ist Sisyphos?« schrie Ariane erneut und brachte damit alle übrigen gegen sich auf. Selbst Bosch, der sich bislang aus den Streitereien der Traumschüler herausgehalten hatte, bat sie mit Nachdruck um Ruhe.
Ariane packte eine ihrer Krücken und fuchtelte drohend damit in der Luft. »Ich will, daß er gefunden wird!« rief sie. »Ich will, daß ihr ihn sucht!«
Walpurga lachte abfällig. »Wie es scheint, bist du in der Gunst des Vaters gefallen, meine Liebe. Ist es das, was du fürchtest? Daß er einen anderen für seine Nachfolge bestimmt hat?«
Der Hieb gegen ihr überlegenes Traumtalent hielt Ariane nicht davon ab, weiter zu fluchen und zu zetern, bis Faustus schließlich sagte: »Wir werden sie suchen, alle beide. Was bleibt uns schon anderes zu tun?« Und an Ariane gewandt fügte er hinzu:
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