Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater
den Kopf abgeschnitten.«
Merkwürdigerweise wiesen meine Gedanken in diesem Augenblick in eine einzige absurde Richtung: Wie hatte der Mörder zwischen all den Fleischfalten ihren Hals gefunden? Wie lang mußte sein Messer gewesen sein?
Aber ich begriff auch, weshalb Arianes Tod Faustus so heftig berührte. Er machte sich Vorwürfe. Sie hatte ihn gewarnt, den Mörder schnell ausfindig zu machen. Sie hatte Angst gehabt, doch Faustus war nicht darauf eingegangen. Vielleicht hätte er ihr Leben retten können.
»Das beweist, daß Braumeister der Mörder ist«, sagte ich, während ich ungewaschen in meine Kleidung schlüpfte.
»Tut es das?« fragte Faustus zweifelnd.
Angelina pflichtete mir mit heftigem Nicken bei.
»Ariane war sicher, daß er die anderen getötet hat«, erklärte ich. »Sie hat diesen Verdacht laut ausgesprochen. Wer weiß schon, was sie in ihrer nächsten Vision gesehen hätte? Vielleicht sein Versteck. Er mußte handeln, um sie zum Schweigen zu bringen.«
Faustus ließ sich nicht überzeugen. »Du übersiehst eine Kleinigkeit, mein Freund. Braumeister war nicht bei uns, als Ariane ihre Vision schilderte. Woher aber wußte er, was sie gesehen hat?«
»Vielleicht hat er gehorcht«, bot ich unsicher als Erklärung an, doch sie mochte mich selbst nicht recht überzeugen. »Oder aber –«
Faustus nickte. »Oder einer der anderen ist sein Verbündeter. Doch welchen Sinn hätte das für ihn? Er will die Nachfolge des Traumvaters. Diesen Preis kann er sich mit niemandem teilen. Wer sollte sich auf so einen Pakt einlassen, zumal derjenige weiß, wozu der Mörder fähig ist?«
Enttäuscht mußte ich eingestehen, daß er recht hatte. »Bleibt trotzdem die Möglichkeit, daß er uns belauscht hat. Vielleicht gibt es in Arianes Zimmer einen zweiten Zugang, eine doppelte Wand oder irgend etwas in der Art.«
»Irgend etwas in der Art«, wiederholte Faustus nachdenklich. »Wer weiß, vielleicht hast du recht. Wir sollten uns zumindest vergewissern.«
Ich lief zur Tür. »Dann laßt uns keine Zeit verlieren.«
Faustus winkte ab. »Später. Erst bringen wir Arianes Leichnam hinab in die Gruft. Die anderen warten schon.«
Als wir Arianes Zimmer betraten, lag die Tote noch immer unverändert in ihrem Bett. Bosch, Nicholas und Walpurga standen unschlüssig um sie herum. Die Zwillinge waren nirgends zu sehen.
Kissen und Decke hatten begierig das Blut aufgesogen, das in Strömen aus der offenen Halswunde geflossen war; der Stoff hatte sich dunkelbraun verfärbt. Die Leiche war völlig ausgeblutet. Auch auf dem Boden hatte sich eine getrocknete Lache ausgebreitet. Es stank bestialisch nach fauligem Fleisch. Die Tat mußte schon einige Stunden zurückliegen.
Arianes Hände hatten sich im Todeskampf klauenartig in die Decke verkrallt. Eines ihrer verwachsenen Beine, kaum länger als mein Unterarm, stand schräg nach oben; es war in einer verzweifelten Strampelbewegung erstarrt.
Der Mörder hatte den abgeschnittenen Kopf auf einen der Bettpfosten gesteckt. Die Zunge hing aus dem verzerrten Mund. Fliegen krabbelten über die blaugraue Haut.
Arianes Bett hatte keinen Baldachin, statt dessen eine hohe Vorder-und Rückwand, verziert mit verstaubten Schnitzereien. Der Schädel auf dem Bettpfosten befand sich genau vor meinem Gesicht. Die Augen waren unnatürlich weit nach oben verdreht. Zwischen den Fleischfalten war nichts als Weiß zu erkennen.
Wir machten uns unter Fluchen und Stöhnen an die entsetzliche Arbeit, den unsagbar schweren Torso vom Bett auf die silberne Plattform zu ziehen, auf der Sisyphos seine Herrin einst umhergetragen hatte. Es blieb kein Platz für den Schädel, so daß einer von uns ihn in der Hand tragen mußte. Da wir Männer die Plattform hinab in den Keller schleppen mußten, blieb als Kopfträger nur eine Frau. Angelina übernahm diese Aufgabe. Sie hüllte den Schädel in eines von Arianes monströsen Kleidungsstücken und trug ihn beinahe ehrfürchtig mit beiden Händen vor sich her.
Selbst zu viert war es eine grauenvolle Plackerei, den Körper drei Treppen hinabzutragen. Stets drohte einer von uns unter der Last zusammenzubrechen, und mehrfach konnten wir nur mit Mühe verhindern, daß der Torso von der Platte rutschte. Die ganze Zeit über befand ich mich mit meinem Gesicht bedrohlich nah an der offenen Wunde, und schlimmer noch als der unbeschreibliche Gestank war der Anblick dieses schwarzbraunen Schlundes, der ins Innere des ungeheuren Körpers führte. Ich dankte den Mächten
Weitere Kostenlose Bücher