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Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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die Spitze des Pfostens, eine schwarze, lebende Kappe. Die widerlichen Tiere summten, während sie sich hungrig von der braunen Kruste nährten.
    Kein Mensch war zu sehen.
    Trotzdem war ich sicher, daß ich eben etwas gehört hatte. Ein Laut, der eindeutig nicht von den Fliegen stammte.
    Das Bett stand mit dem Kopfende zur rechten Wand des Raumes. Links davon, halb verdeckt durch einen Vorhang, der sich rund um das Bett zusammenziehen ließ, hing ein ovaler Wandspiegel. Es war der gleiche wie in unserem Zimmer, eingefaßt von einem verschnörkelten Rahmen, von dem die Goldfarbe in strähnigen Fetzen abfiel.
    Etwas aber unterschied Arianes Spiegel von unserem eigenen.
    Die Glasfläche war verschwunden. Der falsche Goldrahmen umfaßte eine schwarze Öffnung, groß genug, daß ein Mensch hindurchsteigen konnte. Dahinter war schattige Leere.
    Angelina bemerkte es im selben Augenblick. Blitzschnell und völlig lautlos huschte sie um das Bett und preßte sich neben dem Spiegel an die Wand, plötzlich allein vom Instinkt getrieben. Mit einem Wink gab sie mir zu verstehen, das gleiche zu tun. Vorsichtig, wenn auch nicht ganz so geräuschlos, folgte ich ihr und drückte mich neben sie. Unsere Körper berührten sich. Ich glaubte, ihren aufgeregten Herzschlag zu hören, doch es war nur mein eigener, der mir mit einem Mal laut in den Ohren dröhnte.
    Wir verhielten uns vollkommen still und lauschten.
    Lange Zeit tat sich nichts, und ich wollte schon vor die Öffnung treten und hineinsehen, als sich das Rascheln wiederholte. Wer immer vorhin auf der anderen Seite des Spiegels gewesen war, er kehrte zurück. Leise, vorsichtige Schritte kamen allmählich näher.
    Jetzt mußte er ganz nahe sein. Gleich hinter der Wand.
    Eine Gestalt beugte sich durch den Spiegel.
    Angelinas Arme schossen vor, packten den anderen an Kopf und Schulter und zerrten ihn mit erstaunlicher Kraft durch den Rahmen.
    Es war Faustus. Und ich hatte recht behalten: Er hatte weder Treppe noch Korridor betreten, um hierher zu gelangen.
    Mit einem Keuchen stürzte er zu Boden, während Angelina erschrocken erkannte, wen sie da durch die Öffnung gerissen hatte. Faustus wirbelte überrascht mit seinen dürren Gliedern umher, eine seltsame Geste der Hilflosigkeit, die ich noch nie bei ihm erlebt hatte. Er schlug mit dem Kopf auf. Sein zerzaustes schwarzes Haar vermochte den Aufprall kaum zu dämpfen. Stöhnend wollte er auf die Füße springen, als er Angelina erkannte. Dann sah er mich, doch seine mißmutige Grimasse schwand schon einen Augenblick später.
    »Tüchtig, tüchtig«, brachte er hervor, während wir zugleich die Hände ausstreckten, um ihm aufzuhelfen. Er schlug beide aus und rappelte sich aus eigener Kraft hoch. Eilig sprang er zur Zimmertür und schob den Riegel vor. Schließlich kehrte er zu uns zurück und schenkte Angelina ein gequältes Lächeln. »Ich sehe, ich muß mir um euch weit weniger Sorgen machen, als ich das bislang getan habe.«
    Ich wollte mich entschuldigen, doch er winkte ungeduldig ab. »Ich war unvorsichtig«, sagte er, »und ich habe es nicht besser verdient. Ich hätte euch wohl von dem Gang erzählen müssen.«
    »Wie lange wißt Ihr schon davon?«
    »Erst seit heute morgen. In jedem Schlafzimmer gibt es einen solchen Spiegel. Alle lassen sich öffnen, allerdings nur von der Rückseite aus. So lange niemand versucht, sie abzuhängen, wird keinem auffallen, daß es sich um etwas anderes als gewöhnliche Spiegel handelt.«
    »Das heißt, man kann durch sie jeden Raum erreichen?«
    »Eigentlich nicht weiter erstaunlich«, erwiderte Faustus nickend. »Gebäude wie dieses sind immer voll von geheimen Gängen und Kammern, man muß nur wissen, wo sie zu finden sind. Oder wo man nach ihnen suchen muß. Nachdem mir allerdings klargeworden war, daß es einen zweiten Zugang zu Arianes Zimmer geben mußte, war das nicht weiter schwierig. Ich mußte nicht einmal diesen Raum betreten. Ich durchsuchte einfach ein leerstehendes Zimmer im zweiten Stock, zerschlug schließlich den Spiegel und entdeckte ein ganzes System von Gängen, die durch die Wände führen. Ich mußte nur noch die Treppe nach unten finden und die Rückseiten der Spiegel abzählen, bis ich den zu Arianes Zimmer fand. Es war mein Fehler, daß ich den Zugang offenstehen ließ, während ich die Entfernung zur nächsten Treppe abmaß. Ich hätte ahnen sollen, daß ihr beiden euch hier herumtreibt.«
    Beschämt lenkte ich das Gespräch in eine andere Richtung. »Habt Ihr das

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