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Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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des Himmels und der Hölle dafür, daß zumindest der Blutfluß versiegt war.
    Nach einer Zeit, die mir endlos schien, erreichten wir endlich den Eingang zur Gruft. Die Tür war zum Glück breit genug, um die Platte mit ihrer schrecklichen Last hindurchzutragen. Schwierigkeiten dagegen verhieß die Art und Weise, in der die Toten hier verwahrt wurden: Sie wurden, mit dem Kopf voran, in tiefe Wandfächer geschoben, die kaum einen Schritt breit waren. Es erforderte erbittertes Drücken und Pressen, den schwammigen Leib dort hinein zu zwängen, und eine Weile lang steckte er fest wie ein Korken. Trotzdem gelang es uns schließlich, die Leiche vollständig in das Fach zu schieben. Den Schädel legten wir als letztes hinzu, dann wurde die Öffnung mit einer Steinplatte verschlossen.
    Bosch erwähnte flüsternd, daß Delphines Leichnam im Nebenfach liege und daß es wohl nur noch eine Frage weniger Tage wäre, bis auch der Rest der Fächerreihe – immerhin noch fünf weitere Öffnungen – gefüllt sei. Ich verzichtete auf eine Erwiderung.
    Erstmals blickte ich mich in der unterirdischen Kammer um. Es war ein rechteckiger Raum, ungemein feucht, in dessen Mitte ein mit Reliefs bedeckter Steinblock kauerte. Einst hatte man ihn wohl genutzt, um die Toten darauf aufzubahren, bevor sie für immer in den Löchern verschwanden. Drei der vier Wände waren mit Leichenfächern bedeckt, je drei Reihen übereinander mit bis zu fünfzehn Öffnungen. Die meisten waren geschlossen; in ihnen mochten uralte Knochen dem Jüngsten Gericht entgegenfaulen. Die Reihe, in der Delphine und Ariane bestattet worden waren, war die einzige, deren Fächer allesamt leer gewesen waren – ehe unser Aufenthalt im Schloß ihre Nutzung unvermeidlich machte.
    Bosch faltete die Hände und sprach vor Arianes letzter Ruhestätte ein kurzes Gebet. Obwohl keiner der übrigen einen Sinn für Gottes Wort besaß, Faustus und Walpurga am allerwenigsten, so hielten sie doch anstandsgemäße Ruhe. Sogar Nicholas, der doch zu allem eine unpassende Bemerkung wußte, schien auf seine Weise berührt. Er senkte wie wir übrigen den Blick und schwieg.
    Bosch war noch nicht ganz am Ende, als Angelina neben mir herumwirbelte und aus der Gruft rannte. Alle sahen auf, die meisten verwundert, Faustus mit Besorgnis. Ich gab ihm mit einem Schulterzucken zu verstehen, uns zu entschuldigen, dann eilte ich Angelina nach.
    Ich fand sie schließlich im Erdgeschoß, wo sie auf einer Treppenstufe hockte, beide Hände vor das verbrannte Gesicht geschlagen.
    »Was ist passiert?« fragte ich voller Sorge, doch sie schüttelte nur abweisend den Kopf. Sie hätte nicht darüber reden können, selbst wenn sie gewollt hätte. Ich begriff, wie lächerlich unser Versuch war, mit Hilfe der Zeichensprache den Anschein einer Verständigung aufzubauen. In Momenten wie diesem, da es wirklich darauf ankam, mußte jedes schlichte Symbol versagen.
    Ich setzte mich neben sie und legte zögernd meinen Arm um ihre Schulter. Sie schien unmerklich zusammenzuzucken, doch vielleicht bildete ich mir das in meiner Scheu nur ein. Als sie mich schließlich ansah, rannen Tränen über ihre zerfurchten Wangen.
    Da begriff ich, was geschehen war.
    »Es ist deine Erinnerung, nicht wahr?« fragte ich behutsam. »Die unterirdischen Räume, das Gebet – all das erinnert dich an etwas, das du in Rom erlebt hast.«
    Sie nickte und bemühte nun doch einige unserer Zeichen. Erst bildeten ihre Finger die Zahl Dreizehn, dann formte sie das Symbol für »Jahr«.
    »Dreizehn Jahre lang?« fragte ich.
    Erneut nickte sie.
    »Du hast dreizehn Jahre lang in solch einer Kammer gelebt?« wagte ich einen Vorstoß. Und um ihr Verhalten angesichts des Gebets in dieser Mutmaßung unterzubringen, fügte ich hinzu: »Unter der Aufsicht von Priestern?«
    Bestätigendes Nicken. Dann die Zeichen für »Tag«, »Licht« und für »nein«.
    »Dreizehn Jahre ohne Tageslicht.« Großer Gott! Was Faustus und ich immer befürchtet hatten, war also die Wahrheit! Die schneeweiße Haut der Borgia-Engel, ihre Vorliebe für die Nacht und die Tatsache, daß Angelina sich unserer Sprache, die sie doch einst als kleines Kind erlernt haben mußte, erst mühsam wieder erinnert hatte – all das bestätigte, was sie nun zu schildern versuchte.
    Die päpstlichen Gesandten, die sie als Kind entführten und ihre Eltern verschwinden ließen, hatten sie und die anderen in den Gewölben unterhalb des Vatikans eingesperrt, all die Jahre lang. Sie hatten ihnen

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