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Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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fiel eine Kante steil in die Tiefe ab. Dort mußte ein enger Hof wie ein Schacht ins Gebäude schneiden. Der Mörder hatte sich selbst in eine ausweglose Lage gebracht. Den Weg nach hinten versperrte der Abgrund, und vorne warteten wir.
    Doch es war zu früh zu frohlocken. Noch hatte ich ihn nicht einmal gesehen, geschweige denn besiegt. Mittlerweile konnte ich das Grollen in meinem Magen selbst nicht mehr benennen; war es Furcht, war es Zögern oder Hochgefühl? Tausend Empfindungen stürzten auf mich ein. Meine Hand am Schwertgriff war naß vor Schweiß. Das war nie ein gutes Zeichen.
    Vor mir bewegte sich etwas. Ich blieb stehen, beobachtete. Ja, da war jemand, knapp zehn Schritte entfernt. Im Mondlicht war nur sein Umriß zu erkennen. Eilig, mit fahrigen Bewegungen, machte er sich an der Rückwand des Turmes zu schaffen. Himmel, da war eine Tür! Er wollte ins Innere fliehen.
    Ich rannte los und stürzte todesmutig auf den anderen zu. Er wandte noch den Kopf nach mir um, dann schwang plötzlich die Tür auf und schien meinen Gegner wie ein schwarzes Maul ins Innere zu saugen. Ehe ich den Eingang erreichte, schlug er bereits wieder zu.
    Ich schrie Angelinas Namen, und einen Herzschlag später stand sie neben mir. Mit aller Kraft warf ich mich gegen die Tür. Sie war jetzt von innen verriegelt, doch ich spürte bereits beim ersten Aufprall, daß das Holz nachgeben würde. Ein zweites, dann ein drittes Mal ließ ich meine Schulter gegen die Tür krachen. Mein ganzer Oberkörper schmerzte als stünde er in Flammen. Schließlich zerbarst der Riegel an der Innenseite, die Tür flog auf. Vom eigenen Schwung wurde ich stolpernd in einen dunklen Raum getragen, fing mich aber, bevor ich hilflos zu Boden stürzen konnte.
    In der Turmkammer brannte keine Fackel, nur der schwache Abglanz des Mondscheins fiel durch die offene Tür. Ich erkannte kaum mehr als eine schwarze Gestalt, die gerade in einer Bodenluke verschwinden wollte, als ich mit der Tür ins Innere taumelte.
    Ich erwartete, daß der andere mich sofort angreifen würde, doch zu meiner Überraschung beeilte er sich nur noch mehr mit seinem Abstieg und ließ sich nun einfach in die Tiefe fallen. Ich hörte ein Keuchen und wunderte mich über die seltsame Kopfform der Gestalt. Sie mußte einen Hut oder eine Mütze tragen.
    Angelina und ich traten an die Falltür im Boden und blickten hinunter. Völlige Finsternis erwartete uns.
    »Sei’s drum«, stöhnte ich leise und sprang hinter unserem Gegner in die Dunkelheit.
    Es war nicht tief. Trotzdem kam es mir vor, als dauerte der Fall eine Ewigkeit. Allein der Umstand, daß ich nicht sah, wohin ich sprang, machte es um ein Vielfaches schlimmer. Dann aber spürte ich Boden unter den Füßen und rief Angelina zu, sie solle mir folgen. Einen Augenblick später stand sie neben mir. Unsere Schwerter deuteten in die Schatten. Es war, als hätten wir uns in ein Faß mit Tinte gestürzt. Um uns war nichts als Schwärze. Über unseren Köpfen zeichnete sich die Luke als graues Viereck ab, doch Licht vermochte sie keines zu spenden.
    Die Fackel war fort, aber wir hätten ohnehin nichts bei uns gehabt, um sie anzuzünden. Es war hoffnungslos.
    Rechts von mir, gar nicht weit entfernt, glomm plötzlich ein Hauch von Helligkeit auf. Eine Tür wurde aufgerissen, jemand stürzte hinaus. Wir befanden uns wieder auf dem Dachboden, deshalb konnte das Licht nur aus dem Treppenhaus kommen, dem einzigen Ort im Gebäude, wo Tag und Nacht die Fackeln brannten. Die Tür mußte demnach in den Hauptgang des Speichers münden, der seinerseits zur Treppe führte.
    Wir stürzten durch den Ausgang und eilten den Korridor entlang. Das runde Treppenhaus wurde in seiner Mitte von einer mächtigen Säule gestützt, um die sich die Stufen spiralförmig drehten. Diese Säule nahm uns jetzt die Sicht auf den Flüchtigen, obgleich er nur noch wenige Schritte vor uns war. Zum ersten Mal waren wir ganz nah daran, ihn endlich zu fassen. Ich hörte seinen heftigen Atem, bemerkte auch, daß er mehrfach stolperte. Er war mit seiner Kraft ebenso am Ende wie ich selbst. Selbst Angelina mit ihrer schier endlosen Ausdauer zeigte Zeichen von Erschöpfung. Wer immer diese Jagd für sich entscheiden mochte – sie näherte sich unzweifelhaft ihrem Ende. Einer von uns würde aufgeben, eher früher als später.
    Wir erreichten das Erdgeschoß, noch immer, ohne einen Blick auf unseren Gegner erhaschen zu können. Ich hörte, wie er hinaus in den großen Saal rannte. Ich

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