Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger
da plötzlich ein Körper, der meinen Sturz aufhielt, unmittelbar vor der Grube. Eine Hand packte mich am Oberarm und zerrte mich auf die Beine.
»Angelina!«
Sie schüttelte nur rasch den Kopf und deutete mit ihrem Schwert den Erdwall hinauf. Dort konnten jeden Moment meine Verfolger auftauchen. Meine eigene Klinge war mir bei dem Sturz entrissen worden, ich fand sie einen Schritt entfernt im Dreck. Als ich sie packte und wieder aufschaute, erschien der erste Borgia-Engel auf dem Hügel. Trotz der Gefahr blickte ich erst zu Angelina hinüber. Ich musste wissen, ob es ihr gut ging.
Ihr weißes Hemd war voller Blut.
»Deines?«, fragte ich mit schwacher Stimme und deutete auf die dunkelroten Flecken.
Wieder schüttelte sie den Kopf. Wie sehr wünschte ich mir in diesem Moment, ihr erstarrtes Gesicht hätte mehr über ihr Inneres verraten. War sie verletzt? Hatte sie Schmerzen? Und was ging in ihr vor, nun, da sie erneut gegen Ihresgleichen kämpfte?
Ein zweiter Borgia-Engel tauchte hinter der Hügelkuppe auf, ein schwarzer Umriss wie von einer riesenhaften Krähe. Es war dunkel, nur das Mondlicht beschien unsere Körper und Klingen. Der Lärm der Arbeiter am Feuer drang kaum noch bis hierher, nur ein feines Säuseln trug der Wind über die Erdhügel.
Die Borgia-Engel bezogen nebeneinander Stellung. Auch ich nahm meinen Platz neben Angelina ein. Hinter uns lag nur ein schmaler Erdstreifen von zwei Fuß Breite, jenseits davon klaffte der Abgrund der Leichengrube. Unten, im hüfthohen Wasser, plätscherte es leise: Ratten beim Mitternachtsmahl.
Die Engel griffen nicht mit einem Kampfschrei an, wie viele es tun, um den Gegner zu verunsichern. Sie machten auch keine höhnischen Bemerkungen, die uns hätten einschüchtern sollen. Ihr Angriff kam schweigend und mit der Präzision eines Rasiermessers.
Der eine sprang auf Angelina zu und rammte seine Klinge gerade nach vorn. Ich sah noch, wie sie die Attacke durch eine rasche Drehung ihrer Waffe parierte, dann hatte ich selbst genug damit zu tun, am Leben zu bleiben.
Das Schwert des zweiten Engels hieb auf mich nieder, und wäre ich nicht im letzten Augenblick zur Seite gesprungen, es hätte mich wohl entzwei gehauen. Der Abhang des Hügels, den mein Feind herabgesprungen war, gereichte ihm beim Angriff zum Vorteil – doch nachdem ich ausgewichen war, gab es nichts mehr, das seinen Lauf bremste. Mit einer Flinkheit, die ich sonst nur von Angelina kannte, federte er am Rand der Grube zurück. Er schwankte nicht, er zögerte nicht – stattdessen setzte er mir mühelos nach, als ich mich daran machte, seitlich das Grab zu umrunden. Das Erdreich war weich, und ich fürchtete bei jedem Schritt, abzurutschen. Doch irgendwie gelang es mir dennoch, die andere Seite der Grube zu erreichen, ehe mein Gegner mich abermals einholen konnte.
Angelina drehte sich auf der gegenüberliegenden Seite des Grabes wie ein Kreisel, ein rasender Derwisch, der in einer Folge – zu schnell für das menschliche Auge – mit der Klinge des Schwertes zuschlug. Ihr Gegner wurde davon überrascht. Während die Borgia-Engel nur gegeneinander und gegen ihre Lehrmeister kämpften, hatte Angelina während all der Monate mit Faustus und mir andere Feinde getroffen, war notgedrungen in einer Vielzahl von Stilen und Taktiken geschult worden. Und sie war geschickt genug, das Dazugelernte mit den Finten und Attacken ihrer Ausbildung zu verbinden.
Sie erschlug den Borgia-Engel so mühelos, dass ich die Tatsache seines Todes erst wirklich wahrnahm, als sein Leichnam auf der Wasseroberfläche aufschlug.
Dann war auch schon mein eigener Gegner wieder heran, stach nach mir, verwandelte seinen Angriff blitzschnell in einen Schlag und streifte mit der Spitze meinen linken Oberarm. Ein brennender Schmerz raste durch meine Muskeln, ich taumelte nach hinten, verlor den Halt – und stürzte in die Grube.
Ein lauter Schrei entrang sich meiner Kehle, als ich mit Rücken und Kopf zuerst ins Wasser klatschte, untertauchte und mich sogleich in einem Gewirr aus Armen und Beinen verhedderte – toten Armen und Beinen! Ich schrie noch viel lauter, als ich wieder an die Oberfläche kam, strampelnd und um mich tretend, so als wären all die Toten zum Leben erwacht und hätten es auf mich abgesehen. Ich riss die Augen auf und starrte in das zerfressene Gesicht einer Leiche; ich schlug mit der Hand nach rechts und traf eine Ratte; ich trat nach unten und spürte meine Sohle über ein fremdes Gesicht rutschen, das sich
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