Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger
Pamphili getroffen hatte. Allerdings zweifelte ich allmählich, dass es allzu gut um diese Freundschaft stand. Der kleine alte Mann musste Pamphili gewesen sein – und war nicht er es gewesen, der meinen Meister an die Bewaffneten ausgeliefert hatte? Er hatte den Doktor in eine Falle gelockt.
O, Himmel und Beelzebub, warum hatte Faustus nicht auf mich hören können? Ich hatte ihn gewarnt, dass man einem Bibliothekar des Borgia nicht trauen konnte.
Angelina zog des Meisters Schwert aus dem Boden und wog es nachdenklich in der Hand.
»Er hätte es niemals freiwillig zurückgelassen«, sagte ich.
Sie hob nur die Schultern und steckte die Waffe zurück in den Schlick. Das umgedrehte Schwert sah aus wie ein christliches Mahnmal.
»Wo ist dieser verfluchte Bibliothekar hin?«, fragte ich.
Sie deutete auf die Fußspuren, die sich jedoch weiter westlich auf dem felsigen Untergrund verloren.
Ich wollte mich in Bewegung setzen und ihnen folgen, doch Angelina hielt mich abermals zurück.
Ein wenig zornig fuhr ich herum. »Er ist mein Meister, nicht deiner! Es ist meine Pflicht, ihm beizustehen – auch wenn er selbst vielleicht nicht erkennt, wie nötig er meine Hilfe hat!«
Was half ihm Respekt, wenn ihn ein halbes Dutzend Männer mit scharfen Klingen bedrohte? Er brauchte mich, genauso wie damals in Wittenberg. Angelina würde mich nicht davon abhalten, mir diesen vermaledeiten Bibliothekar zu greifen und mit dem Schwert aus ihm herauszukitzeln, wohin die Männer den Meister brachten.
»Angelina?«
Sie rührte sich nicht.
»Angelina? Was ist los?«
Ich folgte ihrem Blick entlang der Festungsmauern. Meine Augen verharrten auf einem Torbogen, niedrig und unscheinbar, schmucklos und von tiefstem Schwarz.
»Ist dort jemand?«, fragte ich sie. »Der Bibliothekar?«
Natürlich wusste ich, dass dem nicht so war. Pamphilis Anblick hätte sie nicht in eine derartige Starre versetzt. Ich sah Schrecken in ihren Augen. Und Wiedererkennen. Und – ja, Furcht.
»Kennst du diesen Ort? Warst du schon einmal hier?«
Sie nickte so schwach, dass jemand, der sie nicht kannte, die Bewegung kaum wahrgenommen hätte.
»Den Torbogen meinst du?« Ich deutete auf das dunkle Halbrund am Fuß der Festung.
Wieder nickte sie.
Ich beschloss, das mysteriöse Tor genauer zu betrachten und machte mich auf den Weg. Angelina folgte mir. Es kam selten vor, dass sie nicht versuchte, als Erste am Ziel zu sein. Jetzt aber hielt sie sich hinter mir. Ich konnte mich nicht erinnern, sie jemals so erlebt zu haben.
Ich umfasste den Griff meines Schwertes fester. Der steinerne Bogen war zweimal mannshoch und mindestens acht Schritte breit. Ein muffiger Geruch wehte ins Freie. Von weitem hatte ich vermutet, dass es sich um eine Art künstliche Höhle handelte, einen Unterstand für Wächter und Gefangenentransporte. Nun aber bemerkte ich schon beim Näherkommen, dass die Geräusche unserer Schritte in der Finsternis nachhallten.
Unter dem Torbogen blieb ich stehen und versuchte zu erkennen, was vor mir in der Dunkelheit lag. Ich sah nichts als Schwärze. Angelina trat neben mich. Ihre Knöchel stachen weiß hervor, so fest umspannten ihre Finger den Schwertgriff.
»Seid ihr durch dieses Tor gekommen, als sie euch fortgeschickt haben?«, fragte ich, einer plötzlichen Eingebung folgend.
Angelina nickte.
»Ist das der Einstieg zu euren Quartieren?«
Ja.
»Willst du dort hinein?«
Ja.
»Wir müssen uns erst um den Meister kümmern.«
Angelina trat an mir vorbei, machte einige Schritte ins Dunkel hinein.
»Lass uns später wieder hierher gehen«, schlug ich beharrlich vor. »Wir haben jetzt wirklich keine Zeit dafür.«
Angelina ging weiter.
Ich sah mich aufgebracht um. Nirgends war ein Mensch zu sehen. Mit einem Stoßseufzer folgte ich ihr.
»Bitte, Angelina!« Ein letzter Versuch. »Ich kann dich ja verstehen. Aber der Meister ist in Gefahr, und es gibt im Augenblick Wichtigeres als …«
Sie drehte sich um, nur ein Schemen in der Dunkelheit, und brachte mich mit einer Geste zum Schweigen.
Eines wurde mir in diesem Augenblick klar: Ich musste mich entscheiden, hier und jetzt. Angelina oder Faustus. Als Kämpferin war sie mir unendlich überlegen, und dennoch hatte ich das schmerzliche Gefühl, dass sie mich hier unten mehr brauchte als jemals zuvor. Zugleich aber dachte ich an Faustus, dem ich meine Treue geschworen hatte. Er hatte gewollt, dass ich mit ihm zu der Begegnung mit Pamphili ging; vielleicht hatte er geahnt, was geschehen
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