Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger
Geruch des Flusses wahr, doch Spiritus führte ihn nicht bis ans Wasser, stattdessen bog er plötzlich nach rechts durch einen Mauerspalt in einen winzigen, höhlenartigen Verschlag. Aus einer Öffnung im Boden ragte das Ende eine Leiter.
»Was ist da unten?«, fragte Faustus argwöhnisch.
Spiritus schenkte ihm ein entwaffnendes Grinsen. »Nichts, das dir Sorge bereiten müsste, Zweiter unter den Magiern.« Er lachte kurz auf, dann sprang er schwungvoll in das Loch – ohne die Leiter zu benutzen. Faustus hörte ihn unten mit einem dumpfen Laut aufkommen.
»Was ist?«, rief der Junge herauf. »Wo bleibst du?«
Faustus seufzte und wollte auf die Leiter steigen, als Spiritus rief: »Nein, nicht die Leiter! Das ist nur ein Trick!«
»Ein … Trick?«
»Die Sprossen sind angesägt. Falls mir jemand folgen sollte.«
Großartig, dachte Faustus. Ich bin von einem Kindskopf gerettet worden, der mit der ganzen Welt Krieg spielt.
Nach letztem Zögern warf er das Schwert in die Öffnung, dann folgte er dem silbrigen Glanz der Klinge ins Dunkel.
Ich bemerkte zu spät, dass ich mit der Ferse auf Angelinas Fingern stand. Sie schien es gar nicht wahrzunehmen; ihre Lehrmeister hatten ihr beigebracht, Schmerzen ohne Widerworte zu erdulden.
»Oh … tut mir Leid«, flüsterte ich, aber sie schüttelte den Kopf und legte einen Finger an die Lippen.
Keinen Laut.
Natürlich hatte sie Recht. Es empfiehlt sich nicht, in einen der bestbewachten Paläste der Welt einzubrechen und dabei große Reden zu schwingen., Wir erklommen die letzte der drei Mauern, die den Papstpalast umgaben. Der Weg hierher vermischte sich in meinem Kopf zu einem Wirrwarr aus rennen – stehen bleiben – klettern – rennen – stehen bleiben – klettern. Mir war schlecht vor Angst, aber ich hätte es nie vor Angelina eingestanden. Bislang waren wir vier Patrouillen ausgewichen, von denen mich – wäre ich allein gewesen – fraglos schon die Erste gefasst hätte.
Aber Angelina entpuppte sich, neben all ihren anderen Talenten, auch noch als Meisterin des Einbruchs. Allmählich war ich überzeugt, dass sie sich notfalls durch die Reihen einer kaiserlichen Heerschar schleichen konnte, ohne einer Menschenseele aufzufallen. Fraglos war ich ihr ein mächtiger Klotz am Bein – und nun hätte ich ihr beinahe auch noch die Finger ihrer Schwerthand zerquetscht. Wundervoll, Wagner, ganz wundervoll.
Von der dritten Mauer aus sahen wir in einiger Entfernung zwei Gardisten, die in die andere Richtung blickten, dorthin, wo hinter hohen Hecken das Hauptportal lag. Die Morgendämmerung war angebrochen, und jedes Zögern mochte unser letztes sein. Wenn es erst hell war, war es vorbei mit unserer Kletterpartie.
In Windeseile ließen wir uns hinab, wobei meine Hand nur um Haaresbreite einem daumenlangen Stahldorn entging; Hunderte davon waren in die Mauerkuppen eingelassen, um Einbrecher wie uns abzuschrecken. Doch Angelina schien jede noch so gemeine Falle vorauszusehen. Allmählich begriff ich auch, warum: Übungen der Eluciderii hatten an diesen Mauern stattgefunden. Das musste es sein! Angelina brach nicht zum ersten Mal in diesen Palast ein – mit dem bedeutsamen Unterschied, dass sie es damals unter der Aufsicht ihrer vatikanischen Lehrmeister getan hatte.
Eine Woge brennender Siegesgewissheit überkam mich. Ich beobachtete jede von Angelinas Bewegungen, die Art wie sie schlich und Geräusche vermied, wie sie sich immer wieder umschaute, um sicher zu gehen, dass uns niemand bemerkte. Nicht nur Faustus war mein Lehrmeister – Angelina war es längst ebenso. Sie war mir in mehr Dingen überlegen, als ich aus dem Stehgreif hätte aufzählen können.
(Gewiss, schmunzelnder Leser, eine Sache gab es, in der ich ihr etwas hätte beibringen können. Hah – ich sehe Euch wissend nicken! Doch selbst Ihr müsst einsehen, dass es Augenblicke gibt im Leben, in denen die Lustbarkeiten zwischen Mann und Frau eine untergeordnete Rolle spielen – in Nächten zum Beispiel, in denen einem die gesamte Garde des Papstpalastes auf den Fersen ist, jeder Inquisitor des Kontinents einen brennen sehen will und der Mensch, dem man Treue geschworen hat, von blutrünstigen Feinden verschleppt worden ist. In der Tat, ob Ihr es glaubt oder nicht, mir stand der Sinn nicht nach wildem Gehopse in Strohbetten oder geheimer Narretei im Mondenlicht. Ganz gewiss nicht!)
Wir erreichten eine schmale Tür, die in einen der Anbauten des Palastes führte. Noch immer hatte man uns nicht
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