Die neue Hoffnung der Föderation (Der Dezennienkrieg 1)
Pferd, das seit Tagen nur die unbeholfenen Reitversuche eines halbgelähmten Anfängers erduldet hatte, reagierte prompt.
Der verdutzte Terraner wich natürlich überweit zur Seite aus, als das wertvolle Tier lostrabte. Die Ausländer kannten Pferde ja zumeist nur aus dem Fernsehen oder dem Zoo, wie Jasko vorgestern in der Führstunde auf Flore beiläufig erwähnt hatte. Früher hätte Belian sich womöglich in der freien und dadurch nicht so ohne Weiteres belauschbaren Umgebung näher erkundigt, aber so war es nur ein gescheiterter Konversationsversuch von vielen gewesen. Ein wenig hatte der verstoßene Erstgeborene sich deswegen schlecht gefühlt, aber dieses Gefühl existierte jetzt nicht mehr.
Es wurde hinweggewischt vom neuerlichen Schmerz angesichts der Erkenntnis, hier jetzt gleichfalls überflüssig zu sein. Vom letzten Menschen, der ihn gebraucht und dem er etwas bedeutet hatte, ebenfalls fallen gelassen zu werden. Nach der eigenen Familie auch noch das!
Der Ruf seines stehen gelassenen Landsmannes ließ den ortskundigen Leutnant herumfahren. Bevor er jedoch etwas zu dem höchst seltsamerweise entgegen aller Abneigung urplötzlich doch wieder reitenden Einheimischen sagen konnte, kam Belian ihm brutal zuvor: „Der Geräteschuppen ist für Sie und Ihre Leute geräumt, Leutnant Jasko. Halten Sie Ihren Eid oder lassen Sie es!“
Ohne eine Reaktion abzuwarten, kickte Belian der Stute geradezu heftig die Fersen in die Flanken. Die Ohren flach anlegend stürmte das Tier los und ersparte es ihrem sich über den Pferdehals duckenden Besitzer, das Erschrecken des Mannes zu sehen, den er bis gerade als seinen Freund betrachtet hatte.
Das war der Punkt, an dem Belian endgültig alles egal war. Er war jedoch nicht traurig wie damals, sondern vor allem wütend. Das war der große Unterschied. Er hatte Jasko verletzen wollen, genau wie er gerade selbst verletzt worden war.
Dieses Vorhaben war ihm gelungen. Der laute Ruf: „Etienne! So warte doch! Was hast du denn?“, zeugte davon.
Auf eine Eigenschaft legte der Duc d’Auvergne bei Pferden Wert: Sie mussten schnell sein. Flore mochte ein ruhiges Temperament haben, aber sie hatte ein gutes Geläuf. In Windeseile trug sie ihren jugendlichen Reiter davon. Weg von seinem verräterischen Freund. Weg von denjenigen, die ungebeten gekommen waren, um ihn Belian wegzunehmen. Weg vom Duc d’Auvergne, der mit seinem Wort für die Terraner einstand. Sollten die Mistkerle doch davonlaufen und zum Festland schwimmen, sie und auch die Familie des Ducs hatten doch alle miteinander nichts Besseres als den Tod verdient!
‚Außer Louise! Meine Schwester hatte damals natürlich Recht, was den Leutnant angeht. Alle Terraner sind Verräter! Sie sind nicht wie wir!’
Fast schon wünschte er sich geradezu die Flucht der Gefangenen und den Zorn des Monarchen, der seine Familie daraufhin treffen würde. Ihm machte das nichts mehr aus. Was schreckte der Tod einen Jungen, der vom Leben nichts mehr zu erwarten hatte? Schlimmer als solche ‚Beschäftigungstherapien’ konnte es kaum noch werden. Überflüssige, sinnlose Aufgaben für einen aufs Abstellgleis geschobenen, der Familie bloß noch Schande bereitenden Sohn.
Ein normales Abendessen im Gutshaus Auvergne bot an sich nie den Rahmen für eine erregte Gesprächsrunde. De facto herrschte an sich immer vom ersten bis zum letzten Gang Schweigen. Außer heute.
Der am Kopf der Tafel sitzende Familienvorstand ergriff während des Hauptganges persönlich das Wort. Das geschah auf eine beinahe zufällig wirkende und dennoch selbstverständlich genau kalkulierte Art und Weise.
„Wie gefällt dir dein Pferd, Etienne? Möchtest du Flore nach dem heutigen Testritt behalten oder lieber ein anderes haben?“
Natürlich war das nicht wortwörtlich gemeint. Vielmehr war es ein Kommentar zum Zustand der Stute, die Belian vor weniger als zwei Stunden nach einem langen Gewaltritt schweiß- und schaumbedeckt sowie mit beinahe blutigem Maul wieder in den Stall zurückgebracht hatte.
„Könnte ich sie vielleicht haben, wenn Etienne sie nicht mehr will, Euer Ehren?“ Es war kaum begreiflich, wie gut ein Neunjähriger sich auf das Verschießen von Giftpfeilen spezialisiert hatte. Natürlich wirkte Paul gänzlich unschuldig, und seine blauen Augen, die im Gegensatz zu Etiennes braunen garantiert das Ergebnis einer genetischen Auswahl waren, blickten aufrichtig und bittend.
„Also, ehe du das Tier verkaufen willst, Theodore…“,
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