Die neue Hoffnung der Föderation (Der Dezennienkrieg 1)
morgen fühlte.
Die Erinnerung war das sprichwörtliche finstere Tal, das Etienne Belian immer wieder durchwanderte. Unzählige Male durchlebte er die Schrecken. In beinahe jeder Sekunde, in der er wach war.
Wie seine immer wiederkehrende Nervensäge ihn aufgeklärt hatte, würde das noch Tage oder Wochen so bleiben. Einer der vielen Bordärzte des Hilfsschiffes Berlin, das auch teils ein fliegendes Lazarett war und sich nicht aktiv an der Raumschlacht beteiligt hatte, war jener Meinung gewesen. Falls der Medikus damit Recht hatte, sah es düster aus.
Belian gierte verzweifelt nach jeder Ablenkung, fuhr aber dennoch schreckhaft auf, als jemand durch die Tür des Krankenzimmers trat, die nie geschlossen sein durfte. Wie er es wünschte, blieb sie jetzt auch immer offen, obwohl die vielen Sanitäter oder auch die Ärzte manchmal nicht vermeiden konnten, nicht auf Zehenspitzen vorbeizugehen. Letzte Nacht war es hektisch geworden und sehr laut. Belian war hochgeschreckt und verängstigt gewesen, weil er geglaubt hatte, man hole ihn gar zum Verhör aus seiner vermeintlichen Zelle.
Es war jedoch Kristian Jaskos ‚Schuld’ gewesen. Der Leutnant lag genau wie alle anderen befreiten Opfer ebenfalls noch hier und hatte sich eine Schere ins Herz rammen wollen, was aber nicht funktioniert und lediglich das halbe Lazarett in Alarm versetzt hatte. Belian verstand ihn und verurteilte den Offizier nicht dafür. Auch er hielt es manchmal überhaupt nicht aus, erwachte schreiend und bettelte um ein neues Schlafmittel, das sein zuständiger Arzt ihm jedoch immer wieder verwehrte, weil der Mann einfach nicht verstand. Irgendwann würde auch der jüngste Traumatisierte vielleicht zur Schere oder etwas anderem greifen, um dem Erlebten endgültig zu entfliehen.
Die drei Männer, die jetzt an der Tür standen, waren jedoch natürlich auch keine Bedrohung. Nur eine Ablenkung, obwohl sie ihn dazu nötigen würden, aufzustehen. Zumindest zwei von ihnen nicht, die jetzt einem Dritten den Vortritt ließen. Es war ein blutjunger Leutnant, der noch nicht einmal zwanzig sein mochte, in einer seltsam geschnittenen dunkelblauen Uniform. Sein Kopf war auf Stirnhöhe mit Mull umwickelt, und der Offizier schleppte sich beinahe vorwärts. Seine kränkliche Blässe war eine andere als die jedes normalen Crewmitgliedes.
Und doch kam er äußerst langsam zum Bett, nachdem Belian es ihm gestattet hatte. Er setzte sich jedoch nicht, sondern holte lediglich etwas aus seiner Tasche. Eine Tafel Schokolade, wie das Bild auf der fremdsprachigen Verpackung verriet.
Als er das sah, wusste Belian schlagartig, weshalb der Kerl gekommen war. Die Erinnerung, lange vor dem Tag, der sein Leben völlig aus der Bahn geworfen hatte, selbst einmal anderen genau dieselbe Freude gemacht zu haben, ließ ihn erneut in Tränen ausbrechen. Er weinte um das Vergangene, als er die Gabe annahm.
Die Haut des Offiziers war heiß und trocken. Vermutlich sollte er gar nicht hier zu Besuch sein, denn er hatte erhöhte Temperatur, wenn nicht gar Fieber. Er war mit Sicherheit in der Schlacht am vorgestrigen Mittag verwundet worden und kam entweder aus Orion oder Wega.
Belian drückte die Hand lange und ließ dann wieder los. Das Geschenk war selbstlos und auf einem Raumschiff kostbar. Schließlich war die Süßigkeit seit dem Aufbruch der Flotte aus Orion gehütet und aufgespart worden. Nur um jetzt doch weggegeben zu werden.
Was Belian, als er dem Mann, den er leider nicht verstehen konnte, schließlich nachblickte, nicht ahnte, war der Bruch der geltenden Regeln. Wenn es nach der Besatzung der Berlin und denjenigen der restlichen Flotte gegangen wäre, hätten sie Belians Zimmer und ihn selbst vollgestopft. Um ihn nicht mit Reizen und Emotionen zu überfluten, galt ein Besuchsverbot, und Gaben für ihn wurden erst gar nicht angenommen. Es wären zu viele geworden, und das hätte den Siebzehnjährigen nach Meinung der Ärzte heillos überfordert sowie in innere Konflikte gestürzt.
Nur die momentane Abwesenheit eines Mediziners hatte den terranischen Sanitäter, der anders darüber dachte, bewogen, dem vier Türen weiter liegenden ausländischen Leutnant seine Bitte zu erfüllen und ihn quasi während der Toilettenpause des Arztes einzuschmuggeln. Ganz glatt ging es nicht, aber den Vortrag bekam allein der bei seiner Rückkehr erwischte Orioner zu hören, der gar nicht hätte aufstehen dürfen.
Währenddessen begannen der Sanitätsunteroffizier und sein
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