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Die neue Lust am Essen: Vom Laster Nikotin und Fastlife zu Lebensgenuss und Slow Food (German Edition)

Die neue Lust am Essen: Vom Laster Nikotin und Fastlife zu Lebensgenuss und Slow Food (German Edition)

Titel: Die neue Lust am Essen: Vom Laster Nikotin und Fastlife zu Lebensgenuss und Slow Food (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermine Pfrogner
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erblickten, um dann nach Mexiko auszuwandern. Columbus brachte sie nach Europa, wo man sie anfangs wegen ihrer tiefroten Farbe für giftig hielt und als Zierpflanzen nutzte, bis es endlich jemand wagte, von ihnen zu naschen, und man so auf den Geschmack dieser köstlichen Früchte kam.
    Von den Azteken wurden sie „Tomatl“ oder „Tumatle“ genannt, was so viel wie Schwellkörper bedeutet. In Europa erhielten sie poetischere Namen wie „Liebesapfel“/„Pomme d’amour“ oder „Goldapfel“/„Pomodoro“. Seit jeher genießen sie den Ruf, eine aphrodisierende Wirkung zu haben. Es soll tausende Sorten geben, ein paar mehr als früher kannte ich nun schon. Ich freute mich bereits sehr auf die bunte Vielfalt und kontrollierte daher täglich die Fortschritte meiner „Gelben Heidelbeere“, „Black Cherry“ oder „Grünen Traube“.
    Zu meinem besonderen Liebling avancierte aber die „Russische Reiseparadeis“, die ich vorläufig nur von der Beschreibung her kannte und die ich nun aus Samen züchten wollte. Ihre originelle, sehr dekorative traubenähnliche Form erlaubt es, von der großen Frucht immer wieder Teilfrüchte abzubrechen, ohne dass Saft ausrinnt. Ein erfrischender Langzeitgenuss wurde mir versprochen. Jetzt musste nur noch das Samenkorn fruchten.

Alles ist möglich, alles ist erlaubt
    Dass sich die legendäre Parole vom Mai 1968 eines Tages sogar auf den Inhalt meiner Kochtöpfe anwenden ließe, hätte ich mir gewiss nicht träumen lassen, als ich Jahre nach dem turbulenten Pariser Frühling in einem immer noch irgendwie umgekrempelten Nach-Mai-Frankreich meine studentische Freiheit und das überall gerne gesehene Nikotin in vollen Zügen genoss.
    Gerne gesehen? – Von wegen! Es war viel eher so, dass man einfach rauchen musste, um als etwas zu gelten und zu jener immer diskussionsbereiten Schar angehender Berufsintellektueller zu gehören, die die Welt neu erfanden und die dazu nötige Inspiration aus Unmengen von Nikotin schöpften.
    Inzwischen hat sich das Bewusstsein stark verändert, damals aber waren die Gefährlichkeit des Rauchens und die damit verbundenen Suchtmechanismen einfach kein Thema, und man braucht bloß Filme aus dieser Zeit anzusehen, um zu erkennen, welche Präsenz die Zigarette im alltäglichen Leben hatte.
    Längst war das revolutionäre Gedankengut von einst im Sog der Geschichte untergegangen, in meinen Kochtöpfen feierte es aber fröhliche Auferstehung. Die verblüffende Erkenntnis, dass der Kampf gegen den Barockengel ganz und gar nichts mit Verzicht und fader Kost zu tun haben musste, war in der Tat die Entdeckung der Saison.
    Es mag ein Vorurteil sein, aber ich habe lange Zeit wirklich geglaubt, dass, wer abnehmen wolle, auf vieles verzichten müsse, wenn es klappen soll, vor allem auf besondere Geschmackserlebnisse, weil die meisten Diäten mit Fettreduktion arbeiten, was, wie ich dachte, nur auf Kosten des Geschmacks gehen konnte. Dass dem gar nicht so sein muss, war für mich schon überraschend.
    Nun ist Essen im Sinne von Slow Food an sich ja kein Diätprogramm, doch mit ein wenig Raffinesse und Fantasie ließen sich die Klassiker der regionalen Kochkunst so abspecken, dass sie sogar dem hartnäckigsten Barockengel gehörig zusetzen konnten. Es reichte schon, bei den Zutaten und der Zubereitung Fett zu sparen, was dem Geschmack keinen Abbruch tat, den Kaloriengehalt aber deutlich reduzierte.
    Das Fett verschwand – der Genuss blieb. Meine Doppelstrategie hatte es wahrlich in sich, und so reifte die Idee, dieses beglückende Konzept in ein Buch zu gießen. Ich dachte auch schon über einen passenden Titel nach und pflegte regen Gedankenaustausch mit mir selbst.
    Wie wär’s mit „Best of Haute Cuisine“?
    Klingt ziemlich hochtrabend.
    „Haute Cuisine statt Nikotin“ vielleicht …
    Nicht schlecht.
    „Räucherlachs statt Raucherlunge“ …
    Witzig! Aber … Wolltest du nicht eben erst ein Kuss-Seminar veranstalten?
    Ich könnte ja auch ein Schlankschlemmer-Kochbuch schreiben. Für mutige Nikotin-Verweigerer und Feindinnen des Barockengels …
    Und für Anhänger von Slow Food!
    Genau!
    Hauptsache, du rauchst nicht mehr.
    Klar.
    Übrigens: Was sagt das Erfolgsprotokoll?
    Schon 220 Tage geschafft!
    Super.

Engelsöle und Teufelsfette
    Die Verwendung von Fett in der Küche hatte in früheren Zeiten einen völlig anderen Stellenwert als heute. Wie deftig es da oft zuging, wird aus alten Rezepten ersichtlich.
    Gegen Ende des 18. Jahrhunderts schrieb der

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