Die neue Lust am Essen: Vom Laster Nikotin und Fastlife zu Lebensgenuss und Slow Food (German Edition)
besten Fall noch von früher kennt, was sich aber jedenfalls nicht in einem herkömmlichen Einkaufswagen findet. Die Pflanzen dürfen nicht nur ausführlich bewundert, sondern Stecklinge und Samen auch gekauft oder getauscht werden.
Iss, was du liebst, lautet die Devise, denn nur wenn wir alte Kulturpflanzen wieder nutzen, werden sie vor dem Aussterben bewahrt. Das war nun wirklich Wasser auf meine Slow Food Mühlen. Daher packte ich allerlei Jungpflänzchen, Knollen und Samenkörner, denen ich allesamt zutraute, bei mir heimisch zu werden, in eine große, luftige Box und machte mich, noch ganz erfüllt von den schönen Bildern und herrlichen Düften, vergnügt auf den Heimweg.
Gärtnern macht glücklich, das wussten schon die alten Chinesen.
Süße Früchtchen und Hasenfutter
In den darauffolgenden Tagen verbrachte ich jede freie Minute im Garten. Ich legte ein Gemüsebeet an, pflanzte ein halbes Duzend Paradeiserstauden, jede Menge Kräuter und eine große Auswahl an Salaten in diversen Farben und Formen und, was das Wichtigste war, alles garantiert „bio“.
Dank einer günstigen Wetterphase und meiner liebevollen Pflege und sorgfältigen Bewässerung wuchs mein junges Grün in Rekordzeit und ich geriet richtiggehend in Stress, musste ich doch jetzt quasi mit der Natur um die Wette futtern, da ich den Fehler aller Anfänger begangen hatte, sämtliche Pflänzchen gleichzeitig auszusetzen. Also verschenkte ich den Großteil meiner Frühernte im Freundeskreis und an die Hasen meiner Nachbarn, die sofort begierig über die Köstlichkeiten herfielen. Auf diese Weise machte ich mich nicht nur beliebt, ich schuf auch Platz für neue Keimlinge, die ich nun ganz professionell im Wochentakt einpflanzte.
Endlich hatte ich alles unter Kontrolle. Mein Biofutter gedieh prächtig, gerade so schnell, dass ich mit meiner Produktion Schritt halten konnte, und das knackige Angebot erfreute mir Herz und Magen. Von meinen täglichen Erntegängen kehrte ich stets mit einer großen Schüssel grüner, roter, glatter oder krauser Blätter zurück, dazu Jungerbsen, Karotten und Radieschen, das Ganze gekrönt mit ein paar prallen, vollreifen, süßen, noch sonnenwarmen Paradeisern, die einen betörenden Duft verströmten.
Nicht einmal der begnadetste Biobauer weit und breit hätte jemals diese Qualität zustande bringen können, geschweige denn jene mir ganz und gar nicht geheuren Lieferanten stets gleich großer, immer gleich roter, billiger Früchte mit dem unverkennbar schalen Aroma der europäischen Einheitstomate, die echte Erde nie gesehen hat. Zum Glück war ich auf derlei verdächtige Produkte nicht mehr angewiesen, denn ich belieferte mich jetzt und für den Rest der Saison ausschließlich selbst und in Topqualität. Für die Nachbarhasen fiel übrigens nach wie vor das eine oder andere Häppchen ab.
Göttliche Paradeis
Sie hat kaum Kalorien, aber viele Vitamine und Spurenelemente und sie gilt als unser Lieblingsgemüse. Wir kennen sie vor allem in den Varianten Fleisch-, Salat-oder Cocktail-Paradeiser und in einem ganz bestimmten Rot, mit etwas Glück auch unvergleichlich duftend. Mit etwas Glück, denn dieses braucht es wohl, um aus dem uniformen Ganzjahresangebot jene kostbaren, vollreifen Früchte mit echtem Genusspotential herauszufinden oder, besser gesagt, herauszuriechen. Und dann stellt sich immer noch die Frage, ob man solch weitgereiste Dinger im tiefsten Winter überhaupt haben will.
Nun, mit meinem Saisonkalender als ständigem Begleiter wusste ich mir natürlich zu helfen und so hatte ich geduldig auf die ersten Paradeiser vom Bauernmarkt gewartet, die mir genussvoll die Zeit vertrieben, während in meinem Garten neue Schätze reiften.
Mein Interesse für bodenständige Lebensmittel schien übrigens voll im Trend zu liegen, denn plötzlich bot man mir sogar im Supermarkt Paradeiserpflänzchen mit ungewöhnlichen Namen an, allesamt alte Sorten, wie ein Zertifikat attestierte. Beim Anblick dieser Winzlinge erwachte sofort ein gewisser Beschützerinstinkt in mir und ich griff beherzt zu, um meine Produktion zu erweitern.
In meinem Garten wurde allmählich das Terrain knapp, also pflanzte ich sie zwischen Sträuchern und Blumen an, wo sich eben noch eine kleine Lücke auftat. Das schien sie nicht zu stören, denn sie begannen sofort heftig zu wuchern und räkelten sich in der Sonne.
Gut 8000 Jahre soll es her sein, dass die roten Wunderbeeren, die eigentlich als Obst gelten, in den Anden das Licht der Welt
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