Die neue Lustschule
beschrieben habe, bleibt dennoch unerkannt. Unerfüllte frühe Bedürftigkeit und sexueller Triebdruck sind ein unheilvolles Bedürfnisgemisch, das in Beziehungen treibt, die nur unglücklich ausgehen können. Der Verdacht, dass etwas in der Art vorliegt, liegt nahe, wenn nach dem ersten Sex Ekel empfunden wird und man schnell wieder auseinanderkommen will. Betrachtet man dann den Partner mit nüchternem Blick, schaut sich etwa im Zimmer und im Bad um und empfindet Abneigung, war man Opfer einer Bewusstseinsveränderung und Wahrnehmungsverzerrung aus aufgestauter Bedürftigkeit. (Kleiner Test: Könnten Sie nach dem Sex noch die Zahnbürste des Partners verwenden?).
Meistens sieht man durchaus die Fehler und Schwächen des Intimpartners, übergeht sie aber, um einer Sehnsuchtsbedürftigkeit oder dem Triebdruck nachzugeben; in der Entwicklung der Beziehung kann dieses Verhalten aber nur zu Konflikten und Krisen führen. Deshalb sollten Abneigung,Ekel, Enttäuschungen, Unangenehmes oder Störendes in einer Beziehung, die im Zustand sexueller oder sehnsüchtiger Nüchternheit spürbar werden, unbedingt besprochen, ausgetragen und geklärt werden, bevor man sich verbindlich verpflichtet. Man kann mit dem Wissen um die Begrenzungen in einer Partnerschaft ganz gut auskommen, nicht aber mit der Verleugnung und der Erwartung, dass sich alles doch noch bessern könnte. Wer aus Gründen der Sexualökonomie eine Partnerschaft eingeht, wird bald im Beziehungssumpf stecken; und wer dies aus früher ungestillter Sehnsucht anstrebt, dem wird die Lust und Entspannung durch Sexualität verloren gehen. Eine gute Partnerschaft braucht eine Abstimmung der sexuellen Interessen und Klarheit darüber, wie viel Bedürftigkeit gestillt und wie viel Autonomie gelebt werden kann. Aus meiner psychotherapeutischen Erfahrung kann ich sagen: Männer rutschen häufiger in die Liebesfalle, weil sie ficken wollen, und Frauen lassen sich sexuell häufiger benutzen, weil sie ihr Zuwendungsbedürfnis stillen wollen. Dass man die Schwächen, Fehler und Makel eines Intimpartners dank Triebdruck oder früher Bedürftigkeit übersieht, mag eine Gnade der Natur sein (der durch «Glückshormone» veränderten Wahrnehmung und Beurteilung), ist aber keine gute Basis für eine dauerhafte Beziehung.
2. Narzisstischer Sex
Der narzisstische Sex dient der Selbstbestätigung und dem Selbstwert. Über sexuelles Handeln sucht der Narzisst Anerkennung und Bewunderung. So bemüht er sich um Attraktivität und will durch besondere Leistungen, ausgefallene Sextechniken, aufregende Accessoires und ein faszinierendes Ambiente beeindrucken. Was innerlich nicht erlebt wird, muss äußerlich hervorgehoben und betont werden. Dabeibleibt der Narzisst nur bei sich, der Sexualpartner wird zum Selbstobjekt, das folgen muss und bestätigen bzw. bewundern soll. Nur durch den Partner und dessen Claqueurverhalten kann sich der Selbstwertgestörte Großartigkeit herbeiphantasieren. Es wird die «geile Nummer» gesucht, der besondere Kick, das zum Prahlen geeignete Erlebnis, die schwärmerische Beziehung. Die sexuellen Aktivitäten sind nicht selten sehr heftig, betont erregt, sehr sportlich, mitunter mit artistischen Einlagen. Das Äußere spielt eine wesentliche Rolle: Schminke, Schmuck, Tattoos, Sonnenstudiobräune, Mode und ein gestyltes Aussehen betonen das sexuelle Balzverhalten. Der narzisstische Sex fordert Anerkennung und Lob, lässt aber – will man die Beziehung erhalten – niemals ehrliche Kritik zu. Der verehrungssüchtige Narzisst braucht den anbetungswilligen Ko-Narzissten. Beide verbergen im Getue und Gemache ihre tiefe Verunsicherung und den großen Bestätigungswunsch. Bei der Sexualität geht dies natürlich auf Kosten der Lust, vor allem wenn Gewohnheit, Langeweile, das unvermeidliche Älterwerden, Schwächen und Gebrechen die Inszenierungen gewöhnlich werden lassen und die Betonungen des Äußerlichen nicht mehr ausreichen, um die inneren Zweifel und Mangelgefühle zu betäuben. Diese Problematik nimmt zunehmend pathologische Züge an, etwa wenn dann noch sogenannte Schönheitschirurgen die Not des Narzissten ausnutzen. Zugegeben, die Schönheit des Körpers lässt mit der Zeit nach, aber echtes Verhalten und Fühlen bleiben auch dann erregender und animierender als die Reize künstlicher Schönheit. Für die Opfer eines narzisstischen Zeitgeistes dürften diese Erfahrungen allerdings weniger Bedeutung haben, denn sie suchen nach äußerer Bestätigung und nicht
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