Die neue Menschheit
Bevölkerungsdichte. Eine höhere Bevölkerungsdichte bedeutete neue Formen von Gesellschaftskontrolle. Es bedeutete eine völlig andere Lebensweise.
Hirten. Fleischtierzüchter.
Auf der Erde war es Millionen Jahre nicht dazu gekommen. Vom Hund abgesehen, hatte es bis zur Jungsteinzeit keine domestizierten Tiere gegeben. Mit den Hirten waren die Bauern gekommen.
Und dann – schnell, so schnell – das ganze wimmelnde, unerwünschte Durcheinander: Städte, Staaten, Armeen, wuchernde Technologie, menschliche Ameisenhaufen.
Eine Katastrophe? Nun, das war Ansichtssache. Aber es war ein Wort dafür.
Vielleicht würde es nicht so kommen. Aber einmal war es schon geschehen. Es war eine mögliche Folge von Domestikation.
Natürlich könnte Varnum ein Risiko eingehen. Aber das hier waren seine Leute. Es war sein Leben. Er hatte sich schon auf das größte Vabanquespiel eingelassen, das es für einen Menschen überhaupt gab, genau wie seine Leute. Er war nicht bereit, die Würfel noch einmal zu werfen.
Seine Leute waren Wurzelgräber, Beerenpflücker, Früchtesammler und Jäger. Sie hatten ihre Probleme. Sie tanzten nicht glückselig durch ein Utopia.
Doch solange sie Nahrungssammler blieben, waren einige Katastrophen unmöglich. Zivilisation wäre eine davon.
Domestizierte Tiere, Ackerbau, Städte, Entfremdung …
Es war das beste, gleich die Möglichkeit eines Anfangs zu verhindern.
Aber hatte er das Recht dazu?
Varnum wußte es nicht. Er konnte nur tun, was er für das beste hielt. Und er tat es.
Er war entschlossen, es wieder zu tun, wenn nötig.
Wenn es falsch war …
Nun, er wußte, wohin der andere Weg führte. Freiwillig würde er ihn nicht wieder nehmen.
Ein Mensch, der der Hölle entkommt und sich einen Rückfahrschein kauft, ist nicht klug. Er verdient, was er kriegt.
Varnum stand seine Einsamkeit durch, solange er konnte, dann kehrte er zu den Nestern zurück.
Es erwartete ihn nichts Erfreuliches.
Die große gelbe Sonne war untergegangen, aber den Himmel tönte noch ein kaltes weißes Glühen. Die ersten Sterne funkelten schwach und fern. Die Feuer der Leute strahlten willkommene Wärme aus.
Erstaunlicherweise war Spürblut auf den Beinen, aber er sah wie ein Gespenst aus. Und noch erstaunlicher: er brabbelte. Worte quollen nur so aus seinem Mund, während er von einem Nest zum andern torkelte und die Arme wie flehend ausstreckte.
Eisiger Schrecken durchfuhr Varnum.
Spürblut konnte nicht reden! Er hatte nicht viele Worte gelernt. Auch das hier …
Unmöglich!
Varnum folgte dem taumelnden Kranken und achtete auf seine Worte. Es war nicht einfach. Spürblut sprach undeutlich und wirr. Aber einige Sätze verstand Varnum, und das genügte, war mehr als genug!
Er hörte: »Ein Ort, wo es kalt ist … Größe Gebäude, die höher als die höchsten Bäume sind … Man kann durch die Wände gehen … Essen, wann immer man möchte … Maschinen … Menschen, Menschen, überall Menschen …«
Spürblut schwankte von Nest zu Nest, murmelnd manchmal, meistens schreiend. Die Leute starrten ihn furchtsam an und verständnislos.
Ein schmerzhaftes Gurgeln ließ ihn verstummen. Er fiel, kämpfte sich hoch, fiel erneut. Er kroch zu seinem eigenen Nest zurück und brach neben seiner wartenden Gefährtin zusammen. Weißhaar blickte ihn unsicher an und machte sich daran, ihm wieder mit dem Blätterschwamm den Schweiß abzuwaschen, in den er regelrecht gebadet war. Seine Augen glänzten und schienen ihm aus dem geröteten und aufgedunsenen Gesicht zu quellen.
Vielleicht stirbt er, dachte Varnum.
Das wäre das beste.
Trotzdem tat er, was er konnte. Warum, hätte er nicht erklären können. Nachdem Weißhaar ihn gewaschen hatte, brachte Varnum den am ganzen Körper zuckenden Spürblut näher an das kleine Feuer und bedeckte ihn mit einem leichten Fell, mit der Pelzseite zur Haut. Es war jetzt kühler, und es wäre nicht richtig, den fiebernden Mann nackt der Nacht auszusetzen. Er sollte das Fieber ausschwitzen.
»Später«, sagte Varnum zu Weißhaar und deutete auf den Blätterschwamm, dann auf die Felldecke.
Weißhaar nickte. Sie verstand.
Varnum verließ sie. Er fühlte sich plötzlich sehr alt und sehr müde. Er kam an Späher vorbei, der sich in den Schatten hielt. Späher grüße, aber sein Blick ruhte auf Weißhaar.
»Bleib in der Nähe«, sagte Varnum.
Späher nickte. Er würde sich nicht mit Varnum anlegen – noch nicht. Doch genausowenig würde er ihm nicht genehme Befehle ausführen.
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