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Die neue Menschheit

Die neue Menschheit

Titel: Die neue Menschheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chad Oliver
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Doch in diesem Fall brauchte er kein Zureden. Er hatte nicht vor, sich von Weißhaar zu entfernen.
    Wieder war Varnum allein. Er war seine Isolierung leid, konnte sie jedoch nicht beenden. Er stand abseits von den andern. Er war immer ein Einzelgänger gewesen, dem die eigene Gesellschaft genügte. Aber es gab Zeiten, wenn ein Mensch nicht allein sein, wenn er sich jemanden mitteilen sollte.
    Und jetzt war eine dieser Zeiten.
    Er hatte sich Regenfreunds Freundschaft verscherzt. Die Wunde würde heilen und Regenfreund vergessen. Aber im Augenblick konnte Regenfreund ihm keinen Trost bieten.
    Und Dieh?
    Ihre Verbundenheit war gebrochen. Er hatte sich verändert, und sie hatte sich verändert. Der Tod von Ohnenamen hatte die Sache nicht besser gemacht. Und es gab anderes. Er war jetzt ein weit komplizierterer Mensch, von Erinnerungen geplagt, die er mit niemandem teilen konnte. Und Dieh war gewachsen, sie hatte gelernt. Sie war ihren eigenen Weg gegangen und konnte ihn nicht mehr widerspruchslos akzeptieren. Sie hatte ihre Bedürfnisse, und er hatte sie nicht gestillt.
    Blieb sein Sohn, der Junge, für den er immer noch keinen passenden Namen gefunden hatte. (Doch Ohnenamen nannten sie ihn nie.) Er war ein aufgeweckter, eifriger Junge.
    Aber ein Junge, kein Mann.
    Er war noch zu jung, ihn zu belasten.
    Wieviel Zeit hatten sie überhaupt, sie alle?
    Es wäre besser, wenn Spürblut stürbe!
    Das Undenkbare war geschehen, geschah noch.
    Es war absolut unvorhersehbar gewesen – und absolut vernichtend!
    Spürblut war erkrankt und in ein Koma gefallen.
    Und einige seiner Erinnerungen waren ausgelöst worden.
    Welchen Plan Varnum auch gehabt hatte, er hatte einen Riß bekommen und damit die Visionen der Zukunft für seine Leute.
    Spürblut wurde zu einem der anderen Menschen. Er erinnerte sich vielleicht mit der Zeit an alles. Und dann …
    Was?
    Varnum wußte nicht, was er tun sollte. Spürblut war etwas wie ein Mutant. Er war unberechenbar.
    Es wäre besser, wenn Spürblut stürbe.
    Ja, aber Varnum konnte ihn nicht töten. Das wäre ungeheuerlich.
    Varnum war entschlossen zu töten, wenn es sein mußte. Er hatte kaum Illusionen, und die Unberührbarkeit menschlichen Lebens gehörte nicht zu ihnen.
    Aber das …
    Nein!
    Spürblut war eine Gefahr, ganz einfach deshalb, weil er zu einem Menschen wurde, genau wie Varnum einer war. Ein Mensch, der sich erinnerte.
    Wenn das für Varnum richtig war – wenn er selbst darauf bestanden hatte –, wie konnte es dann für Spürblut falsch sein?
    Varnums Ego hatte seine Grenzen, und er nahm an, daß er sie erreicht hatte.
    Er konnte Spürblut nicht töten. Er konnte es nicht tun und damit leben.
    Richtig? Falsch? Die alten, alten heiklen Worte …
    Er ging zu Dieh.
    Er hatte niemandem, zu dem er sonst hätte gehen können.
     
    Sie teilten das Nest miteinander, aber es war Abstand zwischen ihnen.
    Sie blickten einander im bleichen Silberlicht des Himmels und im flackernden orangen Glühen des Feuers an. Die Worte fielen schwer. Einst hatte es eine Zeit gegeben ohne Worte, und es waren auch keine nötig gewesen.
    Nun waren Worte ihre einzige Verbindung.
    Glücklicherweise schlief der Junge. Varnum hätte seine ungebändigte Energie jetzt nicht ausgehalten. Er sah ihn, wie er mit dem Kopf auf seinem Arm schlief. Er versuchte sich selbst in seinem Sohn zu sehen, aber es gelang ihm nicht.
    »Dieh«, murmelte er. Er entsann sich des Augenblicks, als er sie zum erstenmal so genannt hatte.
    »Varnum«, sagte sie. »Bist du hungrig?«
    »Nein.«
    Wieder fiel das Schweigen wie ein Vorhang zwischen sie.
    Großartige Unterhaltung, dachte Varnum.
    Er versuchte es weiter, redete, um die Leere zu füllen. »Geht es dir gut?«
    »Ich bin nicht krank«, antwortete sie ausweichend.
    »Ich mache mir Sorgen«, murmelte Varnum. »Es war ein schlimmer Tag.«
    »Spürblut?«
    »Ja. Und die junge Antilope.«
    »Nicht so wichtig.«
    »Du verstehst nicht, Dieh. Wenn ich es dir nur sagen könnte …«
    »Ich höre.«
    »Wir haben die Worte dafür nicht.«
    Dieh seufzte. Sie hatte wenig Geduld für Geheimnistuerei, die sie bereits ein Kind gekostet hatte. Worte, die nicht gesprochen werden konnten, standen zwischen ihr und ihrem Gefährten.
    Sie versuchte es ebenfalls und bot, was sie zu bieten hatte. »Leg dich zu mir«, sagte sie.
    Varnum streckte sich neben ihr aus und zog eine Felldecke über sie beide. Dieh wich nicht zurück, aber sie lag unbewegt wie ein Baumstamm. Wenn er sie wollte, konnte er sie

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