Die neue Rasse
Finsternis, die Liliths nachtsichtige Augen nicht kannten.
»Da ist was.«
Es war Reuven, der Lilith flüsternd auf das Geräusch hinwies, das nicht von ihren Schritten verursacht wurde. Sie wurde noch in derselben Sekunde selbst darauf aufmerksam. Auf dieses Rascheln wie von Stoff, das fast unterging in - - Würgen und Schlürfen?
Lautlos und Reuven mit ausgestrecktem Arm einen Schritt hinter sich schiebend ging Lilith weiter, bis die rissige Ziegelwand des Ganges einen weiteren Knick beschrieb. Zentimeterweise schob sie ihr Gesicht um die Ecke - - und hatte im nächsten Moment alle Mühe, ihr dunkles Ich in seinem Kerker zu halten!
Denn dort, kaum mehr als zwanzig Schritte entfernt, am jenseitigen Ende des schuttübersäten Raumes, in den der Gang führte, machte sie eine Bewegung aus, die nur den Bruchteil einer Sekunde lang nichts weiter als Bewegung war. Dann nahm sie in Liliths Augen Form an, wurde zu zwei Gestalten, von denen die eine die andere, leblose in Armen hielt, den Kopf auf Höhe ihres Halses.
Ein Vampir, der schlürfend aus einem Opfer soff - - und würgend erbrach, was er kaum geschluckt hatte?
Das Verlangen, dem finsteren Drängen in sich nachzugeben und sich auf den Vampir zu stürzen, wurde fast übermächtig, doch Lilith bezwang es, schlug das Animalische in starke geistige Fesseln und wartete. Dies war die Spur, auf die sie gehofft hatte. Sie durfte sie nicht auslöschen, bevor sie ihr gefolgt war. Und dem Bedauernswerten dort war ohnehin nicht mehr zu helfen. Sie konnte nur noch eines für ihn tun .
Knack!
Und nicht einmal das mußte sie selbst erledigen .
Beinahe erbarmungswürdig ächzend und stöhnend ließ der Vampir, gewandet in eine abenteuerliche Endzeit-Montur, von seinem Opfer ab, erhob sich und taumelte, sich an der Wand abstützend, davon.
»Was ...?« setzte Reuven kaum hörbar an. Er hätte nichts erkannt, selbst wenn er an Lilith vorbei um die Ecke gespitzt hätte. Rasch verschloß ihre Hand ihm den Mund, während sie beobachtete, wie der Vampir, langsam wieder festeren Schrittes, auf einen Mauerdurchbruch zuging und in der Schwärze dahinter verschwand.
*
Die beiden Seemänner traten über die knöchelhohe Stahlschwelle in den Raum hinter dem Schott.
Und nichts geschah.
Nichts wirklich Sichtbares zumindest.
Allenfalls schien die Dunkelheit hier intensiver als draußen. Brundle hatte den irren Eindruck, daß die Kegel ihrer Lampen sich regelrecht durch die Schwärze kämpfen mußten, und als würden die Lichtstrahlen erst dem Bruchteil einer Sekunde, nachdem sie sie irgendwohin gerichtet hatten, auf ihr Ziel treffen.
Aber das mußte Einbildung sein.
Das konnte nur Einbildung sein!
»Hier könntest du eine Armee verstecken, ohne daß sie jemand aufstöbert«, machte Fairchild einen weiteren Versuch, Brundle zur Umkehr zu bewegen.
Der Schwarze schüttelte nur den Kopf, während er den keimenden Wunsch in sich niederkämpfte, einfach wieder zu gehen.
Der Raum war groß, und durch das Chaos, das darin herrschte, wirkte er noch sehr viel größer. Der Gestank alten Unrats nahm ihm fast den Atem, doch als er sich nach ein paar Sekunden halbwegs daran gewöhnt hatte, fiel ihm ein Geruch auf, der auf schwer zu beschreibende Weise darunter lag.
Stechend, ätzend und modrig zugleich.
»Riechst du das?« fragte Brundle leise.
»Natürlich«, erwiderte Fairchild mit fast erstickter Stimme. »Es stinkt bestialisch. Wenn Flagg hier ist, dann ist er wahrscheinlich an dem Gestank krepiert. Und es riecht sogar so, als könnte der arme Kerl schon verwest sein.«
»Ja«, meinte Brundle wie geistesabwesend, »ja, so ähnlich.«
Fairchilds fragenden Blick ignorierend ging der Schwarze weiter, und nach ein paar Schritten war er für Fairschilds Augen von der Finsternis regelrecht verschluckt worden. Nur den umhertastenden Lichtstrahl von Brundles Lampe konnte er noch sehen.
»Verdammt, warte.«
Keuchend von der kurzen Anstrengung langte der schwergewichtige Ex-Navy-Sergeant neben seinem Kollegen an und stieß sich das Schienbein an einem unsichtbaren Hindernis, was ihn dazu verleitete, ein paar deftige Seemannsflüche zum besten zu geben.
Bis Brundles schwarze Hand ihm wie aus dem Nichts kommend die Lippen verschloß.
»Sei still«, zischte der Hüne. »Hörst du das?«
Fairchild verbiß sich den Schmerz und lauschte in die schattenerfüllte Dunkelheit. Natürlich hörte er es. Er hörte sogar eine ganze Menge. Jenseits des Rumpfes wühlte der Sturm nach wie vor den
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