Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck'sche Reihe) (German Edition)
reichste eine Prozent der Familien hat inzwischen, wie der Nobelpreisträger Paul Krugman und die Wirtschaftsberaterin Obamas, A. B. Krueger, als scharfe Kritiker herausgearbeitet haben, 16 Prozent des Gesamteinkommens vor Steuern okkupiert, nachdem es seinen Anteil in den letzten dreißig Jahren bereits schlankweg verdoppelt hatte.[ 20 ] In dieser Zeit sind die Steuern für das reichste Prozent kontinuierlich gesunken. Da die Spitzeneinkommen seit den 80er Jahren derart explodiert sind, besitzen nunmehr die 13.000 reichsten Familien mindestens das Dreihundertfache der durchschnittlichen Familieneinkommen, etwa soviel wie die 20 Millionen untersten Haushalte zusammengenommen.
Durchweg handelt es sich nicht um Eigentumsunternehmer, sondern um die Haushalte von Topmanagern. In der Zeitspanne von 1990 bis 1998 gelang es den Topmanagern der größten Konzerne, ob Unternehmen, Banken oder Hedgefonds, ihr Einkommen um 480 Prozent zu steigern, bis sie durchschnittlich jährlich 10.6 Millionen Dollar erreicht hatten. Von 1997 bis 2003 folgte erneut eine Steigerung ihres Realeinkommens um 278 Prozent. In den dreißig Jahren bis 2007 hob das oberste Prozent der Spitzenmanager sein Jahreseinkommen so steil an, dass es das Gesamteinkommen der unteren 40 Prozent der Berufstätigen noch übertraf. Unbestrittene Spitzenreiter waren die Topmanager der Banken und Hedgefonds, die mit ihren Bonizahlungen jährlich auf Hunderte von Millionen kamen. Dabei schmälern die exorbitanten Boni, wie natürlich auch in Deutschland, nicht nur die Dividenden der Aktionäre, sondern auch die Eigenkapitalbasis der Betriebe.
Mit dem rasanten Wachstum der Spitzeneinkommen kontrastiert aufs Schärfste die Stagnation im Bereich der Mittelklassen, deren Haushalt um acht Prozent absank, während der Schrumpfungsprozess unter den Unterklassen noch drastischer anhielt. Über diesen irritierenden Vorgang der «Earnings Inequality» hält unter den amerikanischen Ökonomen eine lebhafte, auf Marktkräfte fixierte Debatte an, während die Exzesse des Turbokapitalismus an der Spitze nur selten Aufmerksamkeit finden, und von den Machtentscheidungen, die dort fallen, ist schon gar nicht die Rede, geschweige denn davon, dass sie einer überzeugenden Erklärung zugeführt werden.
Auch die deutschen Spitzenkräfte hatten eine geraume zeitlang neiderfüllt auf das hochkletternde Einkommensniveau ihrer amerikanischen Berufskollegen geblickt. Dann brachte der Kauf der Chrysler-Autowerke durch Daimler-Benz auch für sie den Durchbruch, denn die Höhe der Gehälter ihrer neuen amerikanischen Partner wollten auch sie sogleich aus Gründen der beanspruchten Gleichberechtigung erreichen. Seither schnellten die regulären Gehälter, ergänzt durch Bonizahlungen und Aktienoptionen, Jahr für Jahr empor. Von 1997 bis 2002 schafften es die Vorstände der dreißig deutschen Dax-Gesellschaften, ihr Jahresgehalt um 65 Prozent zu steigern. 2011 stand der VW-Vorstandsvorsitzende Winterkorn mit seinem fabulösen Jahresgehalt von 17. 456 Millionen Euro an der Spitze. Die durchschnittliche Vergütung der Topmanager für 2011 lag bei fünf Millionen Euro. 1985 stand das Verhältnis der Vorstandsgehälter deutscher Aktiengesellschaften zur durchschnittlichen Vergütung ihrer Arbeitnehmer noch bei 20:1, doch 2011 erreichte es 200:1.
Im Bann der neoliberalen Politik wurde auch die Steuerbelastung für die Neureichen abgemildert. Generell gilt jetzt, dass die Besteuerung von Kapitaleinkünften geringer ausfällt als die Steuer auf Einkommen aus Arbeit. Wer nennt das endlich einen Skandal? Die Kapitalertragssteuer liegt inzwischen bei 25 Prozent, die Besteuerung des Arbeitseinkommens aber bei 45 Prozent. Am Anfang der 80er Jahre lagen Gewinn-, Vermögens- und Lohnsteuer mit rd. 28 Prozent noch in etwa gleich auf. Seither wurden die Lohnsteuer, die Mehrwert- und Mineralölsteuer auf 38 Prozent angehoben, die Gewinnsteuer aber auf 15 Prozent gesenkt. Die Vermögenssteuer wurde nach einer Intervention des Bundesverfassungsgerichts, dem man mit einer Neufassung der gesetzlichen Grundlage hätte begegnen sollen, seit 1995 gar nicht mehr erhoben. Die Tabaksteuer ist inzwischen höher als die Steuer auf Kapitalgewinne. Vermögensbezogene Steuern erreichen gerade einmal 2.3 Prozent der Fiskaleinnahmen anstatt die durchschnittlichen fünf Prozent in den OECD-Ländern. Die Abgabenquote bei Arbeitseinkommen (Löhne und Gehälter) liegt zurzeit bei 33.7 Prozent, die Abgabenquote der
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