Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck'sche Reihe) (German Edition)
solche Ansprüche «auf Riesengehälter» durchgesetzt werden. Während sich die Reallöhne in den letzten Jahren kaum veränderten, habe die «einzige auffällige Veränderung … in den Vorstandsetagen stattgefunden».[ 21 ]
Auffällig große Lücken traten auch bei der Vermögensermittlung und -veranschlagung auf. Die obersten fünf Prozent aller Vermögenssteuerzahler besaßen 46 Prozent des überhaupt steuerlich erfassten Vermögens, das oberste Quintil kam auf 63 Prozent des Gesamtvermögens. Aber zahlreiche Reiche mit hohen Vermögenswerten waren, wie das Statistische Bundesamt resignierte, in diesen summarischen Größen noch gar nicht enthalten. Schon 1993 hatte das Statistische Bundesamt nur 15 Prozent der Vermögen über 2.5 Millionen DM einigermaßen exakt erfassen können. Nach dem Fortfall der Vermögenssteuer entfiel auch eine exakte Vermögensstatistik. Das reichste Dezil der Spitzengruppe teilte sich daher vor der Steuer unbekannte Beträge in Milliardenhöhe, ehe es vielleicht einen Großteil um die Steuerzahlung herum in Steueroasen hineinlenkte. Es erreichte im Durchschnitt auf jeden Fall das 330-fache des arithmetischen Mittels der Nettoeinkommen aller deutschen Haushalte.
Die große offene Frage bleibt, warum sich bisher so wenig Widerstand gegen diese maßlose Einkommens- und Vermögenssteigerung geäußert hat. Immerhin stellen die Gewerkschaften die Hälfte der Sitze in den Aufsichtsräten, wo Gehaltsfragen und Bonizahlungen durchweg, wie gern betont wird, im Konsens entschieden werden. Heißt das, dass diese heiklen Entscheidungen einfach abgenickt werden – vielleicht in der Hoffnung auf eine im Vergleich immer nur bescheidene Bonuszahlung für die Belegschaft? Und auf den Aktionärsversammlungen kommt gewöhnlich eine 90-prozentige Zustimmung der Teilnehmer zustande, obwohl damit doch auch über ihre eigene Gewinnspanne entschieden wird. Kritiker der Geschäftsberichte genießen gewöhnlich den Ruf neiderfüllter Pedanten oder exotischer Außenseiter.
Angesichts der Defizite der Vermögenssteuerstatistik bleibt die gepriesene Verteilungsgerechtigkeit auf der Strecke. Es gibt offenbar eine politisch fleißig kultivierte Scheu, Reichtum korrekt zur Besteuerung vorzulegen. Sie wird durch die Einkommenspolitik und die Steuerpolitik mit ihrem Verzicht auf höhere Sätze bei Spitzeneinkommen, nicht zuletzt mit ihrer extremen Zurückhaltung gegenüber einer neuen Vermögenssteuer noch unterstützt.
5.
Die Ungleichheit in der deutschen Wirtschaftselite
Parallel zum finanziellen Konzentrationsprozess verläuft seit geraumer Zeit ein sozialer Konzentrationsprozess, der die elitäre Schließung hin zu einer verblüffenden Homogenisierung vorangetrieben hat, die das Schlagwort von der offenen Leistungsgesellschaft dementiert. Bei dieser Wirtschaftselite, die in bevorzugtem Maße in den Genuss der hochkletternden Einkommens- und Vermögensniveaus kam, geht es um eine doppelte Machtressource. Zum einen handelt es sich um den Besitz von Unternehmen gleich welcher Art, also um Eigentumsmacht, zum anderen und viel häufiger um Positionsmacht aufgrund der Spitzenstellung in einer vorgegebenen Betriebshierarchie, wie sie der klassische Typus des Topmanagers innehat, der das Unternehmen, ohne Inhaber zu sein, im operativen Alltagsgeschäft leitet. Die Zusammensetzung von Eigentümern, Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern, Topmanagern und Geschäftsführern gibt Auskunft über das Profil des elitären Personals in den Chefetagen.
Schon in der Mitte der 60er Jahre stellten Ralf Dahrendorf und Wolfgang Zapf mit unverhüllter Verwunderung fest, dass die Unternehmensspitzen nächst den Kirchenführern die «am wenigsten flexible Elitengruppe» stellten, da sie seit dem Kaiserreich über die Weimarer Republik und das «Dritte Reich» hinweg eine außerordentlich stabile Rekrutierung aus dem Großbürgertum und dem gehobenen Bürgertum aufwiesen. Ein Viertel der Wirtschaftselite stammte, zwanzig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, aus den oberen Mittelklassen, ein Viertel der Vorstandsmitglieder sogar aus der schmalen Oberschicht. Diese Zusammensetzung wurde auch dadurch begünstigt, dass sich damals noch ein Drittel der deutschen Großunternehmen im Familienbesitz befand, der die Exklusivität bis hin zur Wahl der Heiratspartner für den Nachwuchs gezielt unterstützte.
Die politische Forderung nach einer Auflockerung dieser Spitzenclique zielte auf ihre Umwandlung in eine offene Leistungselite, die
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