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Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck'sche Reihe) (German Edition)

Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck'sche Reihe) (German Edition)

Titel: Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck'sche Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Ulrich Wehler
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aus der Bildungsexpansion hervorgehen sollte. Denn da man von einer «Sozialschichtung der Bildungschancen» ausging, hing die Besetzung der Spitzenpositionen von der Ungleichheit dieser Chancen ab, die es deshalb für die Leistungsfähigen zu vermehren galt. In der Folgezeit hat die Eliteforschung von Rudolf Wildenmann bis Wilhelm Bürklin den Elitenanteil des gehobenen Bürgertums kräftig abgesenkt, die Exklusivität bestritten und eine offene Elite mit Aufstiegsmöglichkeiten für die Leistungskräfte beschrieben, da die Bildungspolitik die soziale Elitebasis stetig erweiterte und den Zustrom der Tüchtigen auf die Entscheidungspositionen kanalisierte. Auch bekannte Soziologen wie Niklas Luhmann und Ulrich Beck unterschätzten in ihrem oft eher impressionistischen Urteil über die bundesrepublikanische Gesellschaft die Bedeutung der sozialen Herkunft, damit aber die Zuweisungsmacht der Klassenstruktur.
    Es ist das Verdienst des Darmstädter Soziologen Michael Hartmann, in seinen zahlreichen, empirisch sorgfältig untermauerten Studien über den «Mythos von den Leistungseliten» die Realität auch der bundesdeutschen Wirtschaftselite aufgedeckt zu haben. Dabei stellte sich als Ergebnis der Analyse der Entwicklung von etwa 1970 bis 1995 heraus, dass die in ihren positiven Auswirkungen grandios überschätzte Bildungsexpansion zwar den Zugang zu den höheren Bildungsinstitutionen unstreitig erleichtert, ihn aber keineswegs bis hin zu den Elitepositionen geebnet hat. Vielmehr hat sich in den letzten drei Jahrzehnten ein erstaunlich elitärer Absonderungsprozess vollzogen.[ 22 ]
    1960 bestand die erdrückende Mehrheit der Wirtschaftselite noch aus älteren Jahrgängen, die bereits in der Weimarer Republik die Chefzimmer erreicht hatten. Nur wenige exotisch wirkende Außenseiter wie Berthold Beitz von den Krupp-Werken oder einige der «jungen Männer» aus Speers Managerstab durchbrachen die Senioritätsregel. Seit den 60er Jahren setzte dann jedoch ein umfassender Wechsel ein. 1979 waren nurmehr zehn Prozent der Topmanager vor 1918 geboren worden, eine jüngere Generation schob sich nach vorn. Sie vertrat aber keineswegs die Gewinner der Bildungsexpansion, sondern stammte «ganz überwiegend», dazu in einem noch rasch wachsenden Maße, aus dem Großbürgertum und gehobenen Bürgertum, bis sie in der Mitte der 90er Jahre einen Anteil von, sage und schreibe, 80 Prozent erreicht hatte.
    Die Analyse der hundert, auch noch der dreihundert größten deutschen Unternehmen, ergab im Hinblick auf die Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzenden, ihrer Stellvertreter und die Vorstandsmitglieder dasselbe Ergebnis von 80 bis 82 Prozent. Jeder Zweite stammte aus dem Großbürgertum, während nach einem stetigen Schrumpfen ihres Anteils nur noch neun Prozent aus den Mittelklassen so weit gekommen waren. Die Homogenität der neuen Oligarchie ist mithin in den Spitzenunternehmen weiter angestiegen, da sich die exklusive Rekrutierung offensichtlich verschärft hat. Deshalb war die privilegierte Exklusivität zu Beginn der 90er Jahre deutlich krasser ausgeprägt als noch 1970 – ein Indiz einer harten Ungleichheitsstruktur, welche die soziale Spaltung verschärft hat.
    Blickt man genauer hin, ergibt sich, dass von den Aufsichtsratsvorsitzenden sogar bis zu 90 Prozent aus dem von Hartmann definierten Großbürgertum und gehobenen Bürgertum stammen. Allerdings kam es zu einer aufschlussreichen Verschiebung der Relationen zwischen den einzelnen Herkunftsgruppen. Waren 1970 noch 40 Prozent der Posten von den Söhnen höherer Beamter, 23 Prozent von Unternehmersöhnen besetzt worden, hatte sich bis 1995 das Verhältnis völlig umgekehrt. 40 Prozent kamen jetzt aus Unternehmerfamilien, nur noch zehn Prozent aus dem Haus höherer Beamter. Es gab mithin einen unübersehbaren Vorstoß des protegierten Unternehmernachwuchses.
    Bei den Vorstandsvorsitzenden zeigte sich dagegen eine (nicht leicht zu erklärende) Zunahme der Söhne höherer Beamter auf Kosten derjenigen von Freiberuflern und Mittelklasseneltern. Aber auch hier stellten die Unternehmerfamilien selber einen «weit überproportionalen» Anteil, so dass sie jede dritte Chefposition besetzen konnten. In den klassischen deutschen Großunternehmen mit einer langen Tradition und einer zentralen Stellung in der Gesamtwirtschaft war das Spitzenpersonal aus den beiden Bürgertumsformationen ganz «besonders zahlreich» vertreten.
    Selbstverständlich hatten die Vorstandsvorsitzenden bis

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