Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck'sche Reihe) (German Edition)
abheben. Diese Entscheidungen haben im Grunde nichts mit den Computerfertigkeiten von Fachleuten, mit der Lohnunterbietung durch Entwicklungsländer oder mit dem Einfluss von Marktentscheidungen zu tun. Sie sind ganz und gar der Ausfluss von Kompetenzausübung in ihrem Herrschaftssystem. Sie müssen daher als Phänomene des Machtbesitzes endlich anerkannt und diskutiert werden.
Da die sozialstaatliche Massendemokratie auch ganz wesentlich auf (oft unausgesprochenen) Gerechtigkeitsnormen als Legitimationsgrundlage beruht, taucht die Frage auf, wie lange die kritische öffentliche Meinung eine derart krasse Verletzung der Gerechtigkeitsvorstellungen hinzunehmen bereit ist. Ihren Einwänden begegnet man gewöhnlich mit der Ablehnung einer sog. Neiddiskussion. Mit dieser banalen Häme lässt sich die Diskussion aber nicht abwürgen. Man darf vielmehr gespannt sein, wie sich in einem der fünf reichsten Länder der Erde, in dem ein konfliktentschärfender Wohlstand vorherrscht, der politische Druck aufbauen lässt, der auf eine Korrektur dieser Exzesse einer hierarchisierten Marktwirtschaft hinwirken kann.
4.
Die deutsche Vermögensungleichheit
Ungleich schärfer noch als die Einkommensverteilung weisen die Vermögensverhältnisse die Ungleichverteilung und damit die Klassengrenzen eines in Deutschland bisher einmaligen Reichtums auf. Um zwei Zahlen mit Signalwirkung zu nennen: 1970 kontrollierte das oberste Dezil schon 44 Prozent des gesamten Nettogeldvermögens, das sich in den 35 Jahren zuvor um das 15-fache gesteigert hatte. Um 2000 besaßen fünf Prozent rund die Hälfte des gesamten Vermögens; die ärmeren 50 Prozent dagegen besaßen zwei Prozent. 2010 gehörten aber dem reichsten Dezil, um zu der vertrauten statistischen Größe zurückzukehren, über 66 Prozent des Geldvermögens. Bis 2010 hatte in einem drastischen Konzentrationsprozess das oberste Dezil also zwei Drittel des gesamten Privatvermögens an sich gebunden. Beim obersten 1 Prozent befanden sich, Gipfel der Ungleichverteilung, 35.8 Prozent des Vermögens, mehr als bei 90 Prozent unterhalb dieser Spitzenposition. Allgemein versiebenfachte sich immerhin das Nettovermögen aller Haushalte in dem halben Jahrhundert zwischen 1950 und 2000.
Die deutschen Reichen waren in der unmittelbaren Gegenwart noch nie so reich. Die Kluft zwischen ihnen und der «normalen» Bevölkerung hat sich noch nie so tief geöffnet: Hundert Milliardäre standen 2012 an der Spitze von 345.000 Vermögensmillionären. Selbst während der internationalen Krise der Finanzmärkte 2008/09 ermittelte das Statistische Bundesamt den Zugang von 50.000 frisch gebackenen deutschen Einkommensmillionären.
Dieser Konzentrationsprozess war schon frühzeitig in Gang gekommen, als die Soziale Marktwirtschaft wegen ihrer allgemeinen Wohlstandsförderung noch durchweg optimistisch verklärt wurde. Der bekannte Ökonom Wilhelm Krelle ermittelte zu Beginn der 60er Jahre, dass 1.7 Prozent aller westdeutschen Haushalte über 74 Prozent des Produktivvermögens und 35 Prozent des Gesamtvermögens verfügten.[ 18 ] Ganze 0.08 Prozent kontrollierten 13.2 Prozent des Gesamtvermögens. Als Krelle auf Bitte des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche und des Sekretariats der Deutschen Bischofskonferenz seine Untersuchung dreißig Jahre später noch einmal wiederholte, entdeckte er trotz der langen Zeitspanne keine auffällige Veränderung. 0.06 Prozent der reichsten Haushalte hielten 10.9 Prozent, 1.48 Prozent hielten 32.7 Prozent, 12 Prozent hielten 60 Prozent des Gesamtvermögens. Ganze 7700 Haushalte konnten 51 Prozent des Betriebsvermögens ihr Eigen nennen. Das oberste Quintil besaß 70 Prozent der Nettohaushaltsvermögen, die unteren 30 Prozent erreichten dagegen nur 1.5 Prozent.
Das Nettogeldvermögen stieg, nachdem es von 1950 bis 1960 bereits einen gewaltigen Sprung als Folge des «Wirtschaftswunders» getan hatte, von 1960 bis 1994 um das 15-fache, seit 1970 allerdings wegen der Abflachung der Wachstumskurve nurmehr auf das 5.6-fache von 1970 an. Das reichste Quintil besaß am Ende dieser Periode fast zwei Drittel (63 %), die unteren 40 Prozent des vierten und fünften Quintils kamen dagegen nur auf 4.5 Prozent. Bei ihnen sammelten sich durchweg eher neue Schulden als Vermögenswerte an.
Immerhin verbesserte sich zwischen 1962 und 1993 die Verbreitung von Sparguthaben von 60.3 auf 90.3 Prozent, von Versicherungspolicen von 39.6 auf 67.7 Prozent, von Bausparverträgen
Weitere Kostenlose Bücher