Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck'sche Reihe) (German Edition)
auch auf diesem Feld ihre Durchsetzungskraft bewiesen.
Ein erster Blick über die quantitativen Veränderungen lenkt auf einen Grundtatbestand hin. Zwischen 1952 und 1988, ungefähr in der Lebensspanne der alten Bundesrepublik, veränderte sich die Verteilung der Kinder und Jugendlichen auf die Schultypen auf spektakuläre Weise. Die Quote der Schüler mit einem Volks- oder Hauptschulabschluss sank von 78.3 auf 33.9 Prozent, während die der Realschüler von 6.1 auf 26.8 Prozent, die der Gymnasiasten von 13.2 auf 29.7 Prozent anstieg. Allein zwischen 1960 und 1988 kletterte die Abiturientenzahl von 56.700 auf 211.000. Hatte 1949 der Anteil der Alterskohorte an Abiturienten höchstens zehn Prozent betragen, erreichte er bis 1980 nach seiner Verdreifachung immerhin schon 30 Prozent.
Wie die Statuszuweisung der Eltern an die Kindergeneration funktioniert, lässt sich am Wandel der sozialen Herkunft der Gymnasiasten ablesen. Zwischen 1972 und 1990 stieg der Anteil der auf diese höheren Schulen geschickten Beamtenkinder von 46.7 auf 61.1 Prozent in der jeweiligen Alterskohorte; derjenige der Angestelltenkinder von 36.1 auf 43.8 Prozent, die Quote der Arbeiterkinder aber nur von 6.3 für kurze Zeit auf 13.9 Prozent, sackte aber alsbald von dieser Höhe wieder ab, obwohl Arbeiter zu dieser Zeit noch mehr als ein Drittel der Erwerbstätigen stellten. Ein anderes Beispiel für die «Beharrungskraft der väterlichen Abschlüsse»: Aus den Geburtsjahrgängen zwischen 1958 und 1967 schickten 78 Prozent der Väter mit Abitur ihre Kinder wieder bis zum Abitur auf eine höhere Schule, dagegen taten das trotz des Rückenwindes der Reformära nur 16 Prozent der Väter, die zu den Hauptschulabsolventen gehörten.
Innerhalb von drei Jahrzehnten vermehrte sich ebenfalls die Studentenzahl von 1960 = 261.000 auf 1988 = 1.368 Millionen; der Frauenanteil schnellte von 27 auf 41 Prozent hoch. In dieser Zeitspanne veränderte sich auch das Sozialprofil der Studentenschaft, wenn man das Kriterium des Vaterberufs zugrunde legt. Steil stieg der Nachwuchs aus Angestelltenfamilien, parallel zur numerischen Vermehrung der Angestelltenschaft, von 30 auf 44 Prozent, derjenige der Beamtenfamilien eher unauffällig von 22 auf 24 Prozent, während die Quote aus Arbeiterfamilien, die anfangs sechs Prozent betragen hatte, bis 1971 zwar einmal auf 16.9 Prozent anstieg, bis 1990 aber wieder auf sieben Prozent absank.
Dieser Schrumpfungsprozess mit dem Ergebnis, dass von jungen Männern aus Arbeiterfamilien nur sechs bis sieben Prozent, von jungen Frauen derselben Herkunft sogar nur vier Prozent, ein Studium begannen, lag zum einen an der sprichwörtlichen Bildungsferne zahlreicher Arbeiterfamilien, insbesondere von an- oder ungelernten Arbeitern. Diese außerordentlich zählebige mentale Sperre gegenüber der fremden Welt der höheren Bildungsinstitutionen, aus der den Arbeitern ja auch lange Zeit nur Verachtung und Diskriminierung entgegengeschlagen war, gehört zu den offenbar nur extrem schwer korrigierbaren Ausgangsbedingungen vor der Entscheidung, entweder nach der Hauptschule schnell Geld zu verdienen oder aber mit dem Gymnasium und Studium eine ungewohnt lange Ausbildungszeit auf sich zu nehmen, obwohl danach in der Regel ein deutlich höheres Einkommen erzielt werden kann. Die begrenzte Sprachkompetenz, der eingeschränkte Denkhorizont und die neuartigen inhaltlichen Lernanforderungen machen es für Kinder aus diesen Familien zusätzlich schwer, den Aufstiegsweg einzuschlagen und zu bestehen.
Zum anderen lag eine Ursache der sinkenden Studentenzahl aus diesem sozialkulturellen Milieu darin, dass der Anteil der jungen Männer und Frauen aus anderen Klassen, welche die erweiterten Bildungschancen ungleich schneller und bereitwilliger nutzten, rasch nach oben stieg, so dass auch deshalb der relative Anteil der Studenten aus dem Arbeitermilieu sank. Die Situation an Fachhochschulen, einem Erfolgsbeweis der westdeutschen Bildungspolitik, war übrigens in dieser Hinsicht für den Nachwuchs aus Arbeiterfamilien keineswegs besser als an den Universitäten und Technischen Hochschulen.
Unstreitig bestand zur Zeit der Wiedervereinigung der beiden deutschen Neustaaten die eindeutige Mehrheit der Studierenden, wie seit langem, aus den bürgerlichen Mittelklassen. Mehr als 30 Prozent kamen noch immer aus Akademikerfamilien, so dass sich in manchen Fakultäten eine hohe Selbstrekrutierungsrate ergab: etwa beim Medizinstudium 45 Prozent und
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