Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck'sche Reihe) (German Edition)
Ruhestand unter einer einschneidenden Leistungsminderung und einem Qualifikationsverlust zu leiden. Auf diese Abstiegszeit folgt ein gleitender Übergang in die eigentliche Ruhestandsperiode. In ihr genießen diese Rentner ein geringes Ansehen, spüren das Gefühl, an den Rand abgedrängt zu werden, auch den Verlust ihrer Beziehungsnetzwerke aus der Zeit der Berufstätigkeit, da Ärmere bekanntlich früher sterben. Wegen ihrer Bildungsferne pflegen sie keine aktive Freizeitgestaltung, keine belebende Kultur- und Fortbildungsaktivität. Ihr Gesundheits- und Krankenverhalten weist einen lebensverkürzenden Rückstand im Vergleich mit ihren Altersgenossen aus den Mittel- und Oberklassen auf.
Alte Bundesdeutsche – sie werden nicht von glücklichen Gesichtern an der Reling von Kreuzfahrtschiffen repräsentiert, obwohl die «goldene Zeit» seit der Einführung der dynamischen Rente erstaunlich Vielen solche Ausflüge erlaubt hat. Sie werden auch nicht repräsentiert von den stumpfen Mienen der Dauerbesucher ihrer Stammkneipen. Vielmehr tut sich ein tief zerklüftetes Panorama von Altersgruppen auf, die durch verschiedene Dimensionen der Sozialen Ungleichheit schroff voneinander getrennt werden – wie vorher im Berufsleben, so jetzt im Ruhestand. Wenn die glückliche, soeben noch anhaltende Zeit einer Rente von 70 Prozent des Bruttoeinkommens endet und stattdessen ein Durchschnitt von 42 Prozent gezahlt werden wird, muss diese Kluft alle Rentner, die nicht rechtzeitig eine zusätzliche private Vorsorge getroffen haben, vor tief irritierende Probleme einer Altersarmut stellen, die man seit 1958 überwunden glaubte.
8.
Die Ungleichheit der Bildungschancen
Die Bildungspolitik hat lange Zeit als das aussichtsreichste Experimentierfeld gegolten, auf dem die überkommene Sozialstruktur verflüssigt werden konnte, um eine egalitätsfreundliche Aufstiegsmobilität in Gang zu setzen. Auf diese Weise sollte, lautete seit den 1960er Jahren auch in der Bundesrepublik das Credo, der Fahrstuhleffekt der Wohlstandssteigerung durch die Mobilisierung der Begabtenreserven nachhaltig unterstützt werden, damit auf diesem Feld das Gleichheitsideal der modernen Demokratie durch einen großzügigen Mitteleinsatz verwirklicht wurde.
Zu der Expansion des Bildungssystems – im Vergleich mit den meisten westlichen Ländern ein nachholender Modernisierungsschub – ist es in der Tat seit der Mitte der 60er Jahre gekommen. Milliarden flossen in seinen überfälligen Ausbau. Die quantitativen Veränderungen erreichten allmählich das erhoffte Ausmaß. Doch stellte sich auch der erhoffte sozialstrukturelle Mobilisierungseffekt ein, trotz der Hindernisse in einigen sozialen Klassen und Milieus?[ 24 ]
Die Antwort kann von dem Befund ausgehen, dass im Zentrum des deutschen Arbeitsprozesses unverändert die «marktförmige Erwerbsarbeit» steht, für die formelle Bildung und Wissenserwerb immer wichtiger geworden ist. Daher wird auch der Zusammenhang zwischen Bildungsniveau und Berufsqualität, zwischen Berufsklasse und Einkommensklasse immer enger statt lockerer. Der Einfluss des Bildungsniveaus auf die Statusdistribution, überhaupt auf die Position in der Sozialhierarchie, wächst seit den Gründungsjahren der Bundesrepublik kontinuierlich an. Die meritokratischen Züge der Gesellschaft nehmen mithin weiter zu, während sich die Lage der Nichtakademiker auf dem Arbeitsmarkt seit den 1970er Jahren deutlich verschlechtert hat – dieser Vorsprung ist allerdings durch die Wohlstandssteigerung verschleiert worden. Die Inhaber vorteilhafter Positionen tendieren zur Schließung, um ihre Stellung durch Exklusion abzusichern. Der Zugang zu diesen Positionen wird immer strenger an Zertifikate des höheren Bildungssystems gebunden. Der beste Schutz gegen Arbeitslosigkeit ist seit langem das Absolvieren eines Hochschulstudiums. Daher wächst auch die soziale Polarisierung zwischen Akademikern und Nicht -akademikern.
Die schroffe Einkommensungleichheit zwischen den Erwerbstätigen mit unterschiedlichen Bildungsniveaus hat sich in den letzten Jahrzehnten, aufs Ganze gesehen, kaum verändert. Ein Basisphänomen dieser Kluft ist darin zu sehen, dass die Bildungsungleichheit zwischen den sozialen Klassen ungeachtet aller Reformanstrengungen «erstaunlich stabil» geblieben ist. Die Analyse zeigt, dass Reformen keineswegs von einem Bedeutungsverlust der sozialen Herkunft begleitet worden sind. Die starren Elemente im Gefüge der Sozialen Ungleichheit haben
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