Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck'sche Reihe) (German Edition)
mehr als ein Drittel eines jeden Jahrgangs aufnimmt, von Stufe zu Stufe immer homogenere Kleingruppen, in denen – meist nach der Abschlussprüfung – auch zur Heirat geschritten wird. Die Reform hat offenbar nur zu einer schwachen Verwischung der Grenzen zwischen den Heiratskreisen geführt. Gehalten hat sich vielmehr der kräftige, langlebige Trend zur Homogamie.
Erneut ist auch bestätigt worden, dass sich der direkte Einfluss der sozialen Herkunft umso nachhaltiger auswirkt, je höher die Position des Elternhauses gelagert ist. Das Bildungssystem wird als Heiratsmarkt immer wichtiger. Es wird grosso modo von denselben beständigen Selektionsregeln beherrscht, die bisher die Heiratskreise reguliert haben. Die Hierarchie der Sozialen Ungleichheit kanalisiert offensichtlich auch die emotionalen Verbindungen vor der Eheentscheidung in einem ungleich größeren Maß, als man gemeinhin annimmt. Freilich hält sich in der Umgangssprache der Kommentar, dass man «nicht unter seinem Stand» heiraten soll. Darin mag sich die Einsicht in die Klassengrenzen auf dem Heiratsmarkt ausdrücken. Sie sind jedenfalls ein weiterer Beweis dafür, dass soziale Klassen auch emotionale Klassen mit einem jeweils eigenen hochspezifischen Gefühlshaushalt sind.
7.
Die Soziale Ungleichheit der Alten
Nach einem Blick auf die Regeln der Heiratsmärkte zu Beginn des Erwachsenenlebens lohnt sich ein Vorausblick auf die Ungleichheitsverhältnisse im Alter. Die deutsche Gesellschaft mit inzwischen mehr als 22 Millionen Rentnern jenseits der sozialrechtlichen Altersgrenze, die unter ihren 82 Millionen Einwohnern leben, erfahren das Altern nicht nur als biologisch-individuelles, sondern zusehends auch als folgenreiches soziales Schicksal. Denn zum einen hat seit dem Zweiten Weltkrieg die durchschnittliche Lebenserwartung in einem beispiellosen Tempo zugenommen und löst gravierende Konsequenzen für die sozialen Sicherheitssysteme aus. Männer erreichen inzwischen ein Durchschnittsalter von 82 Jahren, die vor einem halben Jahrhundert noch als exotische Ausnahme gegolten hätten. Frauen kommen im Durchschnitt mit mehr als 84 Jahren auf den längst üblichen Vorsprung von zwei Jahren. Zum anderen wirkt sich die krasse ungleiche Distribution wertvoller sozialer Ressourcen insbesondere auch auf jene Altersgruppen aus, die nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben noch eine rd. 20-jährige, künftig sogar weiter anwachsende Lebenszeit vor sich haben. Damit stellt sich eine Doppelfrage: Wie beeinflusst die klassenspezifische Soziallage die Lebensführung im Alter? Und wie beeinflusst das Altern die Soziallage?
In dieser großen Rentnerschaft werden mehrere Generationen mit durchaus unterschiedlichen Lebenserfahrungen und Einkommensverhältnissen zusammengefasst. Als die dynamische Rente seit 1958 durchweg eine verblüffende Verdoppelung des Renteneinkommens brachte, traten die älteren Westdeutschen in ein «goldenes Rentenzeitalter» ein, da zum ersten Mal in einem westlichen Land die Altersarmut binnen kürzester Zeit komplett beseitigt wurde. Die erste Generation, die in den Genuss dieser erstaunlichen Rentenanhebung – dem beliebtesten Gesetz der alten Bundesrepublik – kam, hatte bis dahin eine immense Bürde getragen. Denn sie hatte durchweg zwei Weltkriege, die Hyperinflation, die Weltwirtschaftskrise, Flucht und Vertreibung sowie die drückende Nachkriegszeit nach 1945 erlebt. Danach wurde sie zuerst bis in die späten 50er Jahre mit kümmerlichen Renten abgefunden, die ohne hilfreiche Zuschüsse aus der Familie kaum das Überleben ermöglichten. Das änderte sich von Grund auf nach der Zäsur von 1958. Die Rentenempfänger der 60er und 70er Jahre hatten in der Regel zwar auch den Zweiten Weltkrieg, Flucht und Vertreibung durchgemacht, trafen aber jetzt auf ein glänzend funktionierendes, das Alter erleichterndes Rentensystem. Die Generationen, die dann seit den späten 80er Jahren «in Rente» gingen, hatten in ihrem Berufsleben das «Wirtschaftswunder» und die sich anschließende Wachstumsperiode erlebt, traten also als unbeschwerte Angehörige einer langlebigen Wohlstandsperiode in ihr Rentenalter ein. Für viele von ihnen schlossen sich noch lange Jahre in bescheidenem Wohlstand und auf Reisen an. Erst die drastische Rentenkürzung, die im Verlauf der nächsten Jahrzehnte bevorsteht, wird zu einem sehnsüchtigen Rückblick auf die Vergangenheit der «goldenen» Jahre führen, in denen man ohne zusätzliche private Vorsorge
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