Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck'sche Reihe) (German Edition)
auskömmlich leben konnte.
Alte Menschen aus der Ober- und Mittelklasse behalten im Allgemeinen ihren Sozialstatus. Die Akademiker aus den freiberuflichen Professionen, den gehobenen Lehrberufen an Universitäten und anderen Hochschulen, der höheren Beamten und leitenden Angestelltenschaft verlieren ihr akkumuliertes Berufs- und Leistungsprestige genauso wenig wie Unternehmer und höhere Manager. Materiell sind sie abgesichert durch Pensionen, Ruhegehaltsbezüge, Betriebsrenten, Lebensversicherungen, Vermögenseinkünfte. Gewöhnlich besitzen sie ein eigenes Haus oder eine komfortable Eigentumswohnung in einem privilegierten Wohnquartier. Mindestens ein Auto und eine Haushaltshilfe stehen ihnen weiterhin zur Verfügung. Die hohe Kaufkraft ihres Alterseinkommens bestimmt den Dispositionsspielraum für ihre lebhafte Aktivität auf Urlaubsreisen, während der Verfolgung ihrer Hobbys, ihrer Fortbildungspläne (Studium über 60), ihrer Teilnahme an VHS-Veranstaltungen und Akademien. Unstreitig wird der Zuschnitt ihrer Lebensführung durch ihre Nettoeinkünfte begrenzt, doch die materielle Sicherheit und das Bildungsniveau ermöglichen ihnen eine aktive Freizeitnutzung, während der die Ferien-, Bildungs- und Kulturangebote wahrgenommen werden können. In der Regel sind diese oberen Altersgruppen auch durch eine höhere Lernbereitschaft gekennzeichnet, da sie ihr Leben lang zu ständigem Hinzulernen angehalten worden sind.
Nicht zuletzt hebt sich ihr Gesundheitszustand von demjenigen der Empfänger niedriger Renten auffällig vorteilhaft ab, da sie längst an frühe Prophylaxe gewöhnt sind, bessere medizinische Kenntnisse besitzen und schneller die Entscheidung treffen, das Gesundheitssystem im Verdachts- oder Krankheitsfall in Anspruch zu nehmen. Auch politisch sind sie vergleichsweise aktiver, wie sich das an ihrem Engagement in Bürgerinitiativen, Parteien und Verbänden ablesen lässt. Trotz all der Vorzüge, die sie daher auch noch in der Altersphase genießen, stellt sich freilich allmählich ein Einflussverlust ein, da sie sich immer weiter von den Netzwerken der Entscheidungsträger entfernen.
90 Prozent der Bevölkerung sind durch die gesetzliche Rentenversicherung für ihr Lebensalter abgesichert. Die Höhe der Rente hängt von dem berufsspezifischen Einkommen in der Phase der aktiven Erwerbstätigkeit ab. Hinzu kommt immer häufiger, vor allem für die Arbeitnehmer in den Großunternehmen, eine Betriebsrente, die bereits 1990 immerhin 20 Prozent der ausscheidenden Arbeitskräfte zustatten kam. Deutlich besser gestellt als Arbeiter und Angestellte sind Beamte, die nach 40 Versicherungsjahren 75 Prozent ihres Bruttoeinkommens als Altersversorgung erhalten. Davon müssen sie allerdings Steuern und Krankenkassenbeiträge bezahlen, kommen aber in den Genuss der ominösen Beihilfe für die Gesundheitskosten. Ihr Pensionseinkommen liegt daher im Durchschnitt um ein volles Viertel höher als das der Rentner.
Besonders benachteiligt sind verwitwete alte Frauen, deren Rente nur maximal 60 Prozent der Rentenhöhe des Ehemanns erreicht. Da Frauen durchschnittlich eine längere Lebenserwartung genießen, sind von dieser eklatanten Diskriminierung, die sich eins der reichsten Länder der Welt unentwegt leistet, zahlreiche ältere Frauen betroffen. 1990 waren z.B. wegen der längeren Lebenserwartung 58 Prozent der Rentnerinnen, aber nur 19 Prozent der männlichen Rentenempfänger verwitwet. Überhaupt sind alte Frauen auf eine den anspruchsvollen Sozialstaat bloßstellende Weise «negativ privilegiert», denn ihre lebenslange Familienarbeit und ihre kräftezehrende Betreuung von noch so vielen Kindern begründen keine nennenswerten Versorgungsansprüche.
Da in den Unterklassen mehr Kinder als auf den oberen Rängen der Sozialhierarchie geboren werden, können Kinder und Verwandte, die wegen ihrer Immobilität in der Nähe wohnen, den Eltern im Rentenalter helfen. Immer häufiger kommt auch angespartes Barvermögen hinzu, während die früher gängige landwirtschaftliche Selbstversorgung weitgehend entfallen ist. Trotz solcher Ausgleichsleistungen wird die Lebensführung der Rentner aus den unteren Klassen und vom unteren Saum der Mittelklassen durch ihr relativ geringes Nettoeinkommen geprägt, wobei sich die verwitweten älteren Frauen einer besonders schwierigen Altersproblematik gegenübersehen. Im Allgemeinen haben die an- und ungelernten Arbeiter sowie untere Angestellte bereits in der Alterungsphase vor dem
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