Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck'sche Reihe) (German Edition)
vor der Massenarbeitslosigkeit seither, lag ihre Arbeitslosenquote bereits um 30 Prozent höher als diejenige der Männer. Seither ist sie noch weiter angestiegen. Auch der Abstieg in die Armut erreichte Frauen, insbesondere die alleinerziehenden Mütter, weitaus häufiger als Männer.
In drastischer Form wirkt sich auch weiterhin die Drosselung der Karrierechancen aus. In diesem für die soziale Gleichstellung besonders sensiblen Bereich macht sich «das Gesetz der hierarchisch zunehmenden Männerdominanz» geltend: Je höher eine Berufsposition gelagert ist, desto ausgeprägter kommt die Vorherrschaft der Männer zur Geltung. Das bestätigen einige Beispiele. In den Chefetagen der 626 umsatzstärksten deutschen Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung fanden sich, sage und schreibe, zwölf Frauen (0.5 %) unter 2.286 Männern. An den höchsten Bundesgerichten stellten Frauen fünf Prozent. Immerhin wuchs ihre Zahl auf den Richter- und Staatsanwaltsstellen in den 20 Jahren bis 2000 von 11/10 auf 27/28 Prozent. Von ihrer Lage an den Universitäten wird gleich die Rede sein. An allen Schulen stellen Lehrerinnen zwar 55.9 Prozent des Personals, von den 24.000 Schulleitern aber nur 3000 (12.8 %), von den Schulräten sogar nur 8.8 Prozent. Die Mehrheit der Akademikerinnen wird außer von Lehrerinnen von Ärztinnen gestellt, jedoch nur selten erreichen diese die Hierarchiespitze der Chefärzte. In den Redaktionen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erreichten Journalistinnen 1987 20 Prozent, in den Führungspositionen aber nur drei Prozent. Erst unlängst haben einige Frauen den Weg auf den Intendantenposten geschafft. Wegen dieser Ungleichverteilung gehört die Bundesrepublik im Hinblick auf die berufliche Gleichstellung der Frau noch immer zu den Schlusslichtern der EU.
Sucht man nach den Ursachen der Bremswirkung, die von den Aufstiegsbarrieren ausgeht, führt zum einen offensichtlich kein Weg daran vorbei, die Folgen der noch immer nicht grundlegend veränderten, vielmehr weit verbreiteten geschlechtsspezifischen Sozialisation hoch zu veranschlagen. Denn sie fördert andere Persönlichkeitsmerkmale, andere Dispositionen, einen anderen Habitus als bei Männern. Beim Aufbau dieses weiblichen Habitus wird Zurückhaltung statt ostentativen Selbstbewusstseins gepflegt, gedämpftes Vertrauen auf die eigenen Fähigkeiten statt energisches Durchsetzungsvermögen, die höhere Bedeutung der sozialen, emotionalen Dimensionen statt männlicher Härte. Im Ergebnis führt gerade diese habituelle Prägung vielfach zu einer beruflichen Benachteiligung von Frauen. Zum anderen dauern patriarchalische Strukturen in der Berufswelt weiter fort. Sie äußern sich z.B. in dem sprichwörtlichen männlichen Zweifel an der Kompetenz, der Belastbarkeit, der Führungsfähigkeit von Frauen. Diesem Vorurteilssyndrom des Machismo steht – wie vergleichende Studien schlüssig nachgewiesen haben – in der beruflichen Realität das Gegenteil diametral gegenüber. Wie der vorn erwähnte Streit um die Frauenquote in Unternehmensvorständen erwiesen hat, können Frauen Leitungsfunktionen mindestens so gut, wenn nicht besser als Männer ausfüllen, da sie teambewusster, kommunikativer, innovativer, entscheidungsfreudiger, planungsfähiger und dazu noch wirtschaftlich erfolgreicher operieren. Das sollte in einem kapitalistischen Marktsystem das durchschlagende Argument sein. Warum aber eine Quote von 30 Prozent fordern anstatt gleich 50 Prozent, wie das der weiblichen Hälfte der Bevölkerung unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten entspräche?
Zugleich muss man eingestehen, dass der Preis, den Frauen für den Berufserfolg häufig zahlen, außerordentlich hoch ist. Aus Rücksicht auf ihre Karriere bleiben 45 Prozent der Frauen, die es auf wirtschaftliche Führungsstellen geschafft haben, ledig – das ist ein 12-mal so hoher Anteil, wie er bei Männern zu finden ist. Sogar 80 Prozent bleiben kinderlos. Die Scheidung kommt dreimal so häufig wie bei Männern vor. Diese Schwierigkeiten, welche die Vereinbarung von exponierter Karriere mit Ehe, Familienleben und Kindern aufwirft, wird niemand gering schätzen. Aber warum werden sie etwa in Frankreich und Nordamerika dezidiert zu meistern gesucht und offenbar keineswegs im Ausnahmefall souveräner überwunden als in Deutschland?
2. Die Erfahrung hat inzwischen gelehrt, dass sich im Bildungssystem die geschlechtsspezifischen Unterschiede vergleichsweise noch am schnellsten
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