Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck'sche Reihe) (German Edition)
durch gezielte politische Interventionen abbauen lassen, wie sie etwa die Bildungsreform seit den 60er Jahren mit sich gebracht hat. Hatten Mädchen 1975 noch eine Abiturquote von 39 Prozent erzielt, führten sie 2000 beim Abitur mit 55 Prozent, beim Realschulabschluss mit 52 Prozent, während sie nurmehr 45 Prozent der Hauptschüler stellten. Auf der Universität haben Studentinnen ebenfalls einen großen Sprung nach vorne getan: Hatten sie 1965 erst 27 Prozent der Studentenschaft erreicht, stellten sie seit 1994 mit 52 Prozent, Tendenz weiter steigend, die Mehrheit der Studienanfänger. Damit hatten junge Frauen, getrieben von dem Wunsch nach einer qualifizierten Ausbildung und der Aussicht auf ein überdurchschnittliches Einkommen, an allen Institutionen der höheren Bildung die Führung übernommen.
Diesem Erfolg stand indessen die weiter anhaltende Ausdünnung des weiblichen Lehr- und Forschungspersonals auf den höheren Stufen der wissenschaftlichen Qualifikation entgegen. 1988 wies die Hochschulstatistik von allen C4-Professuren nur 2.6 Prozent für Frauen aus, von den C3-/C2-Professuren sieben Prozent, von den habilitierten Privatdozenten neun Prozent. Der Anteil der Unverheirateten lag unter den Professorinnen 10-mal höher als bei ihren männlichen Kollegen. 57 Prozent waren geschieden, dagegen nur 18 Prozent bei den Männern. Die Hälfte hatte sich gegen Kinder entschieden. Auch von den Promotionen entfielen nur 26 Prozent auf Frauen. Damit gehört die Bundesrepublik im Hinblick auf den Frauenanteil im Universitätsbetrieb bis 1999 ebenfalls zu den drei Schlusslichtern der EU.
Dieser «Cultural Lag» hat natürlich nichts mit einer unterschiedlichen IQ-Ausstattung zu tun. Vielmehr wirkt sich die immer noch häufig auftretende Dreifachbelastung auf junge Frauen hemmend aus. Kinderaufzucht, Haushaltsführung und Studium über Jahre hinweg zu verbinden ist mit strapaziösen Ansprüchen verbunden, zumal Männer noch immer nicht einen gleichwertigen Anteil an der Kinderpflege und Hausarbeit übernehmen. In den letzten Jahren wird daher immer häufiger die Notbremse gezogen, indem auf Kinder verzichtet wird. Diese Lösung ist aber auch mit gravierenden Nachteilen verbunden. Die Bestandserhaltung, seit 1971 demographisch in Frage gestellt, wird auch dank dieser Haltung immer illusorischer. Gerade Kinder von Akademikerinnen könnten eine privilegierte Förderung genießen. Setzt die späte Trauer wegen des Verzichts auf eigene Kinder ein, ist die biologische Uhr nicht mehr zu korrigieren. Diese düstere Alternative: Berufserfolg oder Kinder, wird in Frankreich oder in den USA nach Kräften vermieden, da Einrichtungen zur Kinderbetreuung von der Kita über den Kindergarten bis zur Ganztagsschule den Müttern eine vorauskalkulierbare Entlastung bringen, die durch die Steuererleichterung und Familienzuschüsse einer pronatalistischen Politik noch ausgedehnt wird.
Zu einem nicht geringen Teil hängt die Ungleichheit auf den verschiedenen Stufen der Universität auch mit der geschlechtsspezifischen Fächerwahl zusammen, die Frauen seit langem in einem ausgeprägten Maße treffen. So stellten zum Beispiel 1990 Studentinnen in den Ingenieurwissenschaften nur 12 Prozent, in der Mathematik und den Naturwissenschaften 32 Prozent, in Jura und der Betriebswirtschaftslehre 36 Prozent, aber in den Sprach- und anderen Kulturwissenschaften, in Pädagogik und Psychologie jeweils 62 Prozent. Infolgedessen wurden in diesen Mehrheitsfächern auch die Qualifikationsrituale häufiger absolviert.
Überhaupt drängen sich junge Frauen in relativ wenigen Ausbildungsberufen zusammen: für die Büroarbeit im Dienstleistungssektor, für Verkaufen und Lehren, Betreuen und Pflegen. Diese Überrepräsentation in der Berufsschulung für die klassischen Frauenbereiche des Lehrens, Heilens und Helfens, mithin die Ausbildung als Krankenpflegerin, medizinisch-technische Assistentin, Psycho- und Physiotherapeutin ist aber mit nicht unerheblichen Kosten und großem Zeitaufwand verbunden, ohne dass der Arbeitsmarkt diese Investition später angemessen belohnt. Auffällig selten wählen Frauen dagegen technische oder produktionsnahe Berufe. Hier wirken sich offenbar zählebige Geschlechterstereotype gegen eine angeblich nicht frauengemäße Berufstätigkeit noch immer hemmend aus.
3. Auch auf dem Politikfeld zeichnet sich ein ambivalentes Bild ab. Wie seit jeher stellen Frauen eine Minderheit in der Mitgliedschaft aller politischen
Weitere Kostenlose Bücher