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Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck'sche Reihe) (German Edition)

Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck'sche Reihe) (German Edition)

Titel: Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck'sche Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Ulrich Wehler
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80 Prozent die Aufgabe der Frau. Die traditionelle Rollenverteilung nicht nur in der Familie, sondern auch in den Lebensgemeinschaften, besitzt offenbar ein «enormes Beharrungsvermögen», das ein Haupthindernis für die Gleichstellung der Frau bleibt.
    Außerdem türmen sich weitere Hindernisse für den gleichzeitig angestrebten beruflichen Erfolg auf. Spitzenpositionen verlangen permanent den zuverlässigen Beistand in der Familie und im Haushalt. Diese Hilfe ist nicht immer leicht und dazu noch auf lange Sicht zu finden. Bei einer Umfrage fanden zwar 70 Prozent der Männer den Erziehungsurlaub «gut», doch nur ganze zwei Prozent nahmen ihn auch in Anspruch. Der Einstieg in die erfolgversprechende Berufskarriere muss außerdem «im richtigen Alter» erfolgen, wird aber gerade dann durch Kinder erschwert. Wollen die Männer um des beruflichen Vorteils willen den Wohnort wechseln, schließen sich die Frauen entgegen ihrer eigenen Interessenlage gewöhnlich an, da sie eher bereit sind, solche Konflikte zugunsten des Partners zu lösen. Selbst wenn es weiter gelingt, in der Arbeitswelt, im Bildungssystem und in der Politik die Barrieren abzubauen, die der Gleichstellung der Frauen entgegenstehen, bleiben doch im Sozialisationsprozess für Mädchen und junge Frauen sowie im traditionsbehafteten Familienleben weitere Hürden erhalten, die sich hartnäckig gegen eine Beseitigung sträuben.

10.

Die Ungleichheit bei Gesundheit und Krankheit
    Zu den Dimensionen des gesellschaftlichen Lebens, die in einem oft nicht beachteten Ausmaß den Imperativen der Sozialen Ungleichheit unterliegen, gehört auch die Gesundheitspflege, die keineswegs nur ein Resultat individueller Fürsorge und Aufmerksamkeit, sondern vor allem das Ergebnis von sozialen Prozessen auf der Linie der Klassenzugehörigkeit ist. Denn die klassenspezifischen Wertvorstellungen, die das Gesundheits- und Krankheitsverhalten bestimmen, entscheiden sich auf krasse Weise, etwa im Hinblick auf die Bereitschaft zur Früherkennung, zur Prophylaxe und dann zur Behandlung von Krankheiten oder auf das gesundheitsschädliche Verhalten, das Suchtkrankheiten wie Rauchen und Alkoholismus repräsentieren. Nicht zufällig treten Herz-Kreislauf-Erkrankungen in den Unterschichten weitaus häufiger auf als in den Oberklassen, und psychische Erkrankungen liegen am Sockel der Sozialhierarchie um 40 Prozent über der Rate an ihrer Spitze.
    Allgemein gilt, dass die Gesundheitsrisiken in der einkommensschwachen Bevölkerung deutlich stärker verbreitet sind. Das geht bis hin zur zwei-, dreifach erhöhten Sterblichkeit in den Unterklassen. Gesundheit und Krankheit stehen in einer klaren Abhängigkeit vom Bildungsniveau. Längere Krankheiten, gerade auch solche chronischer Natur, treffen zu 40 Prozent Männer mit einem Hauptschulabschluss, nur zu 30 Prozent ehemalige Abiturienten; bei Frauen lautet das Verhältnis 50 zu 37 Prozent. Ebenso ungleich ist die Häufigkeit des Infarkts verteilt. Starke anhaltende Schmerzen treten zu 43 Prozent bei Männern mit dem Hauptschulabschluss auf, nur zu 18 Prozent bei solchen mit Abitur; bei Frauen lautet das Verhältnis 51 zu 27 Prozent. Die Drogensucht des regelmäßigen Rauchens findet sich zu 68 Prozent bei Hauptschulabsolventen, nur zu 54 Prozent bei Ex-Abiturienten; bei Frauen lautet das Verhältnis 62 zu 36 Prozent. Ein krasses Übergewicht tritt bei 73 Prozent der Frauen mit Hauptschulabschluss auf, dagegen nur bei 38 Prozent der Frauen mit Abitur. Sportlich inaktiv sind 50 Prozent der Unterklassenmitglieder; diese Zahl liegt doppelt so hoch wie die der früheren Abiturienten.
    Kurzum: Mit höherer Bildung verbessert sich in der Bundesrepublik der Gesundheitszustand, da bereitwilliger, gezielter, schneller Prophylaxe und der Arztbesuch frühzeitig einsetzen. Die Anzahl der Erkrankungen und das Sterberisiko sinken deutlich ab. Umgekehrt ist das Spektrum der gesundheitlichen Risiken für Angehörige der unteren Klassen dreimal so hoch wie für die oberen Klassen. Wegen dieser eklatanten sozialen Differenzen leben z.B. beamtete Professoren im Durchschnitt länger als Arbeiter. Die Sterblichkeit im proletarischen Berlin-Kreuzberg übertrifft um 50 Prozent diejenige des gutbürgerlichen Berlin-Zehlendorf. Noch immer ist auch die Kindersterblichkeit in einem erschreckenden Umfang von der Klassenlage der Eltern abhängig. Das hängt wesentlich mit den Unterschieden in der Vorsorgepraxis von Schwangeren zusammen: Frauen mit Abitur

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