Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck'sche Reihe) (German Edition)
der Stadtzentren nach Geschäftsschluss. Neue attraktive Einkaufszentren wurden an den Stadtrand oder ins nahe Umland verlegt.
Gleichzeitig ermöglichte die Motorisierung und die Verdichtung des öffentlichen Nahverkehrs durch Busse und Straßenbahnen, S- und U-Bahnen die Abwanderung an die städtische Peripherie. Hatte es 1949 0.5 Millionen PKW in der Bundesrepublik gegeben, schnellte diese Zahl bis 1990 auf 35.7 Millionen, bis 2003 auf 44 Millionen mit der Tendenz zur weiteren Steigerung empor. Einer der Hauptgründe für die Motorisierung war der dadurch ermöglichte Übergang zu einer Pendlerexistenz, die für den Weg von der Wohnung bis zum Arbeitsplatz morgens und abends eine oft einstündige Fahrzeit in Kauf nahm. Bereits um 1970 hatte ein Drittel aller Erwerbstätigen dieses Pendeln, hauptsächlich mit dem Privatauto, als werktägliche Routine gewählt.
Mit dem Abzug von Hunderttausenden in die Kleinstädte und in das ländliche Umland war eine ominöse De-Urbanisierung verbunden. Die am dichtesten besiedelten städtischen Zentren Mitteleuropas besaßen spätestens seit den frühen 80er Jahren den geringsten Zuwachs, während die kleinen und mittelgroßen Städte ihre Einwohnerschaft auffällig vergrößern konnten. Um die Großstädte lagerte sich häufig in die zersiedelte Landschaft hinein ein «Speckgürtel» von Siedlungen, der bestenfalls den nordamerikanischen «Suburbs», öfters aber einer ziemlich naturwüchsigen Agglomeration mit gravierenden Folgen für die Infrastruktur der Gemeinden entsprach. Denn die kostspieligen Erfordernisse des Straßenbaus, der Wasser-, Strom- und Gasversorgung, der neuen Schulen, Kindergärten und Krankenhäuser mussten von der kommunalen Planung über kurz oder lang berücksichtigt werden.
Während sich die urbane Lebensweise so machtvoll durchsetzte, dass nur wenige Regionen mit einem dominant agrarischen Zuschnitt erhalten blieben, setzte sich die traditionelle, die soziale Hierarchie widerspiegelnde Segregation der Wohnquartiere, wie sie seit jeher das städtische Zusammenleben charakterisiert hatte, in einem hohen Maße wieder durch. Wegen der Zerstörung vieler Städte durch den Bombenkrieg und des hektischen Wiederaufbaus seit den späten 40er Jahren war es zunächst zu einer größeren sozialen Durchmischung der Wohnpopulation gekommen, als es sie je zuvor gegeben hat. Allmählich aber wurden die privilegierten Wohnviertel wieder homogenisiert. Neue Viertel mit teuren, geräumigen Eigenheimen und weitläufigen Gärten in günstiger Stadtlage wahrten ihren exklusiven Charakter durch den Torhütermechanismus der Kauf- oder Mietpreise.
Auf der einen Seite wurden die Großstädte wieder Sammelpunkte der neuen Mittel- und Oberklassen. Auf der anderen Seite waren sie auch Sammelpunkte der Benachteiligten, der Unterklassen, der getrennt lebenden ethnischen Migranten in ihren isolierten Quartieren.
Die traditionellen Arbeiterquartiere blieben längere Zeit durchmischt. Die alten proletarischen Viertel entstanden eigentlich in den zerbombten Städten nirgendwo aufs Neue. Denn der Abzug aus der Innenstadt erfasste auch zunehmend die Facharbeiter, die sich in der suburbanen Randlage mit Hilfe der Bausparkassen den Boden- und Baupreis leisten konnten. Seit den späten 70er Jahren entstanden aber dann aus überwiegend proletarischen Wohnvierteln neue, nach ethnischen Trennungslinien scharf segregierte Stadtteile, in denen sich etwa türkische Arbeitsmigranten und russisch-deutsche Zuwanderer in einer ghettoähnlichen Subkultur einigelten, wie sie etwa Berlin-Neukölln oder Berlin-Kreuzberg aufweisen, wogegen ehemalige Gastarbeiter aus Italien, Spanien, Griechenland und Kroatien weit eher in Mischvierteln lebten. Inzwischen kennt jeder Käufer oder Mieter längst das soziale Prestige, das innerstädtische Image des Wohnviertels, in das er einziehen möchte. Er verfolgt seine bevorzugten Optionen, gleich ob es sich um Angestelltenviertel oder um eine Exklusivitätszone für das Direktorenpatriziat der Großunternehmen handelt. Insofern drückt sich die Soziale Ungleichheit auch wieder in der Siedlungsstruktur und den Wohnbedingungen mit aller unübersehbaren Deutlichkeit aus.
Galt die städtische Wohnung jahrhundertelang als eine Domäne der Familie, haben sich vor allem seit den 80er Jahren vier neue Haushaltstypen expansiv entwickelt. Sie wurden repräsentiert von den nichtehelichen Lebensgemeinschaften, den Singles, den Alleinerziehenden und den Wohngemeinschaften.
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