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Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck'sche Reihe) (German Edition)

Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck'sche Reihe) (German Edition)

Titel: Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck'sche Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Ulrich Wehler
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verblüffender Geschwindigkeit aus dem Abgrund eines zweiten totalen Krieges herausgeführt hat.
    Diese Wohlstandssteigerung, welche die Bundesrepublik auf den Spitzenrang der fünf reichsten Länder der Welt getragen hat, ist unter den verhängnisvollen Druck der neoliberalen Politik und der Entfesselung der internationalen Finanzmärkte geraten. Denn die neoliberale Politik, die Präsident Reagan und Premierministerin Thatcher mitsamt ihren einflussreichen wirtschaftswissenschaftlichen Ideenspendern wie Friedrich August v. Hayek und Milton Friedman seit den 1980er Jahren verfolgt haben, zielte darauf, die Utopie des völlig deregulierten Marktes zu verwirklichen. Frei von staatlicher Steuerung sollen ausgerechnet in dieser von scharfen Interessengegensätzen beherrschten und schon deshalb extrem regulierungsbedürftigen Arena die Wirtschaftssubjekte ihre Ziele verfolgen dürfen. Dabei dienten sie angeblich auch noch gleichzeitig dem Fernziel des Gemeinwohls. Der mühsam etablierte Interventions- und Sozialstaat sollte zu einer Schrumpfgestalt degradiert, im Kern entmachtet werden.
    Der Voodoo-Aberglaube der Vertreter des total regulierungsfreien und sich selbst steuernden Marktes hat eine zeitlang eine geradezu denkmodische Überzeugungskraft entfaltet, der sogar die europäischen sozialdemokratischen Parteien verblüffend lange erlegen sind. Von allen ökonomischen Einwänden einmal abgesehen verletzte die Utopie der Regulierungsfreiheit eine anthropologische Konstante: Kleine und große menschliche Verbände können nur dann auf Dauer friedlich zusammenleben, wenn sie sich einem allseits akzeptierten Satz von verbindlichen Normen und institutionellen Regelungen unterwerfen. Das gilt für Ehepaare, Vereine, Parteien und ganze Nationen. Von dieser Einsicht waren die Utopisten der Selbstregulierung meilenweit entfernt.
    Die Finanzmarktkrise seit 2008 hat diese Utopie von Grund auf diskreditiert. Die Marktakteure – ob Banken-, Hedgefonds- oder Unternehmensvorstände – zeigten sich außer Stande, diesem Absturz in zeitweilig chaotische Verhältnisse erfolgreich zu begegnen. Wieder einmal erwies sich der moderne Staat als mächtigste Potenz, die mit extrem kostspieligen Hilfs- und Steuerungsmaßnahmen die Krise entschärfen, wenn auch keineswegs überwinden konnte. Die im Lichte dieser Erfahrungen unvermeidbar wirkende effektive Regulierung der Finanzmärkte ist daher noch immer nicht zustande gekommen, da der Druck der Lobby bisher nicht überwunden werden konnte. So wurden zwar Hunderte von Milliarden in das marode Bankensystem und in die schwer angeschlagenen Unternehmen, wie etwa General Motors, gepumpt, ohne aber eine dauerhaft befriedigende Abhilfe zu schaffen.
    Die durch toxische Wertpapiere angefeuerte Hochkonjunktur wurde, wie das üblicherweise in der Geschichte der wirtschaftlichen Wechsellagen der Fall ist, für ein Dauerphänomen gehalten, da im Denkhorizont der Handelnden die Krisengefahr erneut unterschätzt wurde. Wohl aber trieb der von utopischen Deregulierungsillusionen angetriebene Wirtschaftsverlauf die Vorstände und Aufsichtsräte zu einer vorbildlosen Einkommenssteigerung und Vermögensvermehrung. Die Gehälter der Topmanager erreichten nach einer vielhundertfachen Steigerung exotische Höhen, die durch bizarre Bonizahlungen und Aktienoptionen noch unterstützt wurden.
    Die Bundesrepublik erlebte nicht den exzessiven Anstieg, wie ihn die amerikanische Wirtschaftselite vorantrieb, folgte ihr aber doch bis an die inzwischen erreichten Grenzen. Da diese jetzt die Drohung enthüllen, überschritten zu werden, wird die grundsätzliche Frage nach den Legitimationsgrundlagen der deutschen Marktgesellschaft und Demokratie aufgeworfen. Denn sie beruhten bisher auch darauf, dass das erwirtschaftete Sozialprodukt ohne eklatante Verletzung von Gerechtigkeitsnormen verteilt wurde. In einer solchen Krise der krassen Verletzung von Gerechtigkeitsvorstellungen befindet sich aber inzwischen auch die Bundesrepublik, und es ist nur dem hohen Wohlstandsniveau und der Effektivität der deutschen sozialstaatlichen Leistungen zu verdanken, dass sich die Verteilungskonflikte noch nicht schärfer zugespitzt haben.
    Im Vergleich mit Amerika und England besitzt die Bundesrepublik in dieser Situation einen doppelten Vorzug. Zum einen ist die Leistungsfähigkeit ihres industriellen Unterbaus erhalten und nach ständig anhaltender Modernisierung die Grundlage ihrer erstaunlichen Exporterfolge geblieben. Zum anderen hat

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