Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler
GroÃvater-Enkelkind-Geschichte ins Zentrum ihrer Romandebüts und imprägnieren sie solcherart mit Sehnsucht, Liebe und Kummer. Beiden geht es vor allem um private Mythologien.
Der Krieg mit seinen realen Schrecken und Nachwirkungen ist beibeiden Autoren zwar allgegenwärtig, dennoch hängen sie vor allem dem Traum-Jugoslawien ihrer Kinderzeit nach, als noch ein lächelnder Marschall Tito als Landesvater aller Jugoslawen in den Klassenzimmern und Amtsstuben präsent war. Das Unglück begann, als nach seinem Tod die Tito-Bilder abgehängt wurden. Mit einem Mal wurde es wichtig, wie man hieÃ. Der Name erwies sich als scharfes Instrument zur ethnischen Sortierung. Und bald konnte es über Leben und Tod entscheiden, wie ein Name begann und wie er endete. Bei Obreht und StaniÅ¡iÄ schwingt all dies immer mit; vor allem aber verschmelzen in ihren Debütromanen die nationalen Mythen Jugoslawiens und die der eigenen Kindheit miteinander, bis sie nicht mehr zu unterscheiden sind. Ein leichtfüÃig beschwingter Erzählgestus allem Grauen zum Trotz ist damit gesichert, der unschuldige Kinderblick auf Kriegsschrecken hat ja immer etwas Anrührendes.
Dževad Karahasan, der Ãlteste in dieser Autorengruppe und der Einzige von ihnen, der sich aus seiner Heimatregion nicht auf Dauer vertreiben lieÃ, ist ein abendländisch gebildeter und mit morgenländischen Denktraditionen innig vertrauter Metaphysiker, ganz hingegeben der Schönheit und dem Reichtum kultureller Ãberlieferungen, die sich in seiner Herzensstadt Sarajevo bündeln â «plural, polyphon, dialogisch». Mit ihrem harmonischen Ensemble von Kirchen, Synagogen und Moscheen war die bosnische Metropole vor dem Bürgerkrieg ein Schnittpunkt der Kulturen, für den Autor eine «Metapher der Welt». In seinen Büchern, etwa in «Der nächtliche Rat» und «Das Buch der Gärten», sucht Karahasan europäische Aufklärung und orientalische Mystik zu verbinden. Die Idee einer solchen kulturellen Integration strahlt in seinem Werk umso kostbarer, als sie in der Realität für immer zerstört ist, verwüstet von überhandnehmenden nationalpolitischen Phantasmagorien.
Was Karahasan auÃerdem umtreibt, ist die Geschichte und die Vorgeschichte der jüngsten Katastrophe auf dem Balkan. In seinem Roman «Sara und Serafina» erzählt er den zivilisatorischen Zusammenbruch im Bürgerkrieg â und den Widerstand dagegen â vor dem Hintergrund der fast vierjährigen Belagerung Sarajevos. Immer wieder kreist er um dieses verschwundene Sarajevo, sein betrauertes Ideal einesfriedlichen Miteinanders aller Volksgruppen. In dieser Stadt lebten vor dem Krieg vier groÃe Glaubensgemeinschaften einträchtig zusammen â Muslime, Orthodoxe, Juden und Katholiken. Das ist vorbei, seit die ethnischen Säuberungen und Vertreibungen in einem rigorosen Bevölkerungsaustausch unter den Städten und Dörfern von Bosnien-Herzegowina endeten. Karahasans Traum von einer multikulturellen und multiethnischen Synthese in Sarajevo ist ausgeträumt.
Seinen Gram darüber teilen auch seine beiden jüngeren Landsleute Ismet PrciÄ und Aleksandar Hemon. Durch Hemons wie durch Karahasans Albträume geistert das geschundene Sarajevo; Ismet PrciÄ wiederum wird von der Erinnerung an die eingekesselte bosnische Stadt Tuzla verfolgt, ganz ähnlich, wie SaÅ¡a StaniÅ¡iÄ von den Bildern des belagerten und geschundenen ViÅ¡egrad gepeinigt wird. In seinen bisher zwei Romanen («Nowhere Man» und «Lazarus») und drei Bänden mit Erzählungen («Die Sache mit Bruno», «Liebe und Hindernisse» und «Das Buch meiner Leben») kommt Aleksandar Hemon immer wieder auf das Trauma des umzingelten Sarajevo zurück; und Ismet PrciÄ konzentriert sich in seinem Erstlingsroman «Scherben» auf seine Jugendzeit, die mit der Belagerung von Tuzla zusammenfiel. Hemon ist der schwermütigere und sarkastischere, PrciÄ der erregbarere und ungestümere von beiden. Doch im Katastrophenbewusstsein, im strengen und konkreten Blick auf die politischen Verheerungen auf dem Balkan und auf die grotesken Widerfährnisse des eigenen Lebens in Bosnien-Herzegowina und im amerikanischen Exil ähneln sie einander.
Anders als Obreht und StaniÅ¡iÄ, die in ihren balkanischen Kindheits- und GroÃvätermythen versinken und ihr Exilleben allenfalls als
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