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Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Titel: Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Löffler
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liefern also gemeinsam den Grundstoff, aus dem die Autoren ihre Balkan-Erzählungen gewinnen – freilich kaum je unmittelbar, sondern meist aus zeitlicher und räumlicher Distanz. Nicht wenige der bedeutendsten Autoren aus der Balkan-Region sind Migranten. Sie erinnern sich aus der Ferne an denVielvölkerstaat Jugoslawien, den sie als Kinder kannten – vor dem Krieg und auch während der Bürgerkriege, die sie zur Flucht zwangen. Sie haben Erfahrung mit Vertreibung und Exil, sie kennen aus eigenem Erleben die erzwungenen Binnenwanderungen im Zuge der Zerfallskriege, als sich imaginäre Grenzen mit einem Mal in blutige politische Realität verwandelten; oft sind sie bereits als Jugendliche emigriert und vor den ethnischen Säuberungen in ihren Heimatorten ins Ausland geflohen. Sie haben Asyl gefunden, in Deutschland, in Österreich, in den USA.
    Viele haben die Sprache gewechselt und schreiben ihre Bücher nun auf Deutsch oder Amerikanisch. Und wie alle Flüchtlinge schleppen sie ihre Herkunft im Gepäck mit sich, ein kostbares, aber auch schwerwiegendes Gut. Und wenn sie nach dem Ende der Kriege wiederum zu Besuch in das inzwischen zerbrochene Jugoslawien kommen, dann wandern sie befremdet durch ihre Herkunftsorte und können nur schwer ihre Erinnerungen mit dem abgleichen, was sie nun vorfinden. Sie treffen an den vertrauten Adressen keine vertrauten Gesichter mehr an und finden sich in den umgetauften Straßen und Plätzen nicht mehr zurecht, die nun die Namen serbischer Könige und Helden tragen.
    Allein schon die Kurzbiographien zu den Autoren auf den Schutzumschlägen der Bücher sprechen Bände. So dürr die Angaben zur Vita auch sein mögen, so vermitteln sie doch eine Ahnung von den Bürgerkriegsgeschichten und Migrationsschicksalen, die dahinterstehen. Sie zeigen überdies, dass in der realen Welt ethnische Reinheit nicht existiert; sie ist nur ein Phantasma nationalistischer Fanatiker. In der realen Welt herrschen die Mischungen. Die familiale Identität der meisten Autoren vom Balkan ist ethnisch gemischt, so wie auch ihre kulturelle Identität nicht homogen ist, sondern sich unterschiedlichsten und heterogenen Einflüssen verdankt.
    Ein Streifzug in biographischen Stichworten zu den wichtigsten Exil-Autoren aus dem ehemaligen Jugoslawien mag das veranschaulichen.
    Téa Obreht, Jahrgang 1985, stammt aus Belgrad, emigrierte als Siebenjährige mit der Familie über Zypern und Kairo in die USA und lebtin Ithaca im Staate New York. Sie hat serbische Wurzeln, doch ihr Großvater war Katholik aus Slowenien und die Großmutter eine Muslima aus Bosnien.
    SaÅ¡a StaniÅ¡ić wurde 1978 im bosnischen ViÅ¡egrad geboren und flüchtete 1992 als Vierzehnjähriger vor den serbischen Massakern mit seinen Eltern, einem Serben und einer Bosnierin, nach Deutschland.
    Dževad Karahasan, ein bosnischer Muslim aus Duvno in Bosnien-Herzegowina, wurde von Franziskaner-Patres erzogen, promovierte im kroatischen Zagreb, floh 1993 aus dem belagerten Sarajevo, wo seine serbische Schwiegermutter, die muslimische Freunde beherbergt hatte, von der serbischen Soldateska ermordet wurde, und lebt nach jahrelanger Odyssee durch Deutschland und Österreich heute abwechselnd in Graz und in Sarajevo.
    Der Bosnier Ismet Prcić, 1977 im bosnischen Tuzla geboren, flüchtete 1996 als Neunzehnjähriger aus der belagerten Stadt nach Kalifornien und lebt jetzt in Portland, Oregon.
    Aleksandar Hemon, 1964 in Sarajevo geboren, hat eine bosnische Mutter, vom Vater her galizisch-ukrainische Wurzeln und besitzt einen Familienzweig von serbischen Vettern; seit 1992 lebt er im amerikanischen Exil, in Chicago.
    Alle diese Autoren könnten SaÅ¡a StaniÅ¡ićs Debütroman zitieren und mit dessen jungem Ich-Erzähler von sich sagen: «Ich bin ein Gemisch. Ich bin ein Halbhalb. Ich bin Jugoslawe – ich zerfalle also.»
    Dem Komplex Jugoslawien nähern sich diese Autoren je nach Erzähltemperament ganz unterschiedlich. In ihren Erstlingsromanen zeigen sich die beiden jüngsten, Téa Obreht («Die Tigerfrau») und SaÅ¡a StaniÅ¡ić («Wie der Soldat das Grammofon repariert»), als phantastische Fabulierer. Sie sind verliebt in ihre wundersamen Geschichten, die jeweils auf die mythischen Erzählungen eines geliebten Großvaters zurückgehen und ihre diversen Kindheitserinnerungen magisch illuminieren. Beide rücken eine

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