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Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Titel: Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Löffler
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auf das österreichische Thronfolgerpaar feuerte.
    Der Geschichtenband «Das Buch meiner Leben» enthält eine wehmütige, jedoch nicht minder mythenträchtige Variante zur Stammessage der Hemons. Dort liest man: «Vor etwa hundert Jahren zogen meine Vorfahren väterlicherseits aus Galizien, der östlichsten Provinz der k. u. k Monarchie, nach Bosnien. Sie brachten ein paar Bienenstöcke mit, einen Eisenpflug, viele Lieder sowie ein Rezept für Borschtsch, der auf dem Balkan bis dahin unbekannt war. Natürlich existierte dieses Rezept nicht in schriftlicher Form. Sie trugen es in sich, wie ein Lied, das man einmal gelernt hat.»
    Bei aller Spottlust grübelt Hemon doch auch über das Emigrantenunglück der Bosnier in der Diaspora nach und erklärt es sich als Vergeltung für irgendeine uralte mythische Sünde seiner Volksgruppe: «Vielleicht ist dies die Strafe: Wir müssen uns mit dem Halb-Lebenvon Menschen zufriedengeben, die nicht vergessen können, was sie einmal waren, und die sich davor fürchten, in einer fremden Sprache angesprochen zu werden, da sie nicht mehr in der Lage sind, etwas wirklich Bedeutungsvolles von sich zu geben.»
    Hemons Sprachwechsel ins Amerikanische war mühselig, aber letztlich triumphal. Jahrelang empfand er sich als «eingeklemmt zwischen Muttersprache und Exilsprache und unfähig, in beiden zu schreiben». Er hat sich bis in seine Albträume hinein bei der Eroberung der neuen Sprache verausgabt. Am Ende erschloss er sich mit seiner Exilsprache «einen neuen Raum, in dem ich Erfahrungen verarbeiten und Geschichten erfinden konnte». Nun wurde er von der amerikanischen Kritik wegen der unangestrengten Eleganz seines Stils, seiner originellen Metaphern und sprachschöpferischen Kraft als «neuer Nabokov» gefeiert, doch der Weg dahin war hart. Hemon hat darüber genauer Auskunft gegeben als andere Exilautoren, die eine Fremdsprache zu ihrem literarischen Medium machten.
    Eine wichtige, aber verhängnisvolle Rolle spielte dabei ein bosnischer Serbe namens Nikola Koljević aus Banja Luka, der an der Universität von Sarajevo Hemons Anglistikprofessor gewesen war und als Jugoslawiens führender Shakespeare-Experte galt. Ihm verdankte Hemon den Zugang zur Weltliteratur; und Koljević seinerseits förderte Hemon als einen seiner Lieblingsstudenten. Bis es zur Katastrophe kam.
    Denn Hemons Literaturprofessor gehörte, wie sich bei Ausbruch der jugoslawischen Sezessionskriege herausstellte, seit längerem zu den heimlichen Scharfmachern und ideologischen Aufrüstern der serbischen Extremisten. Nun schlug sich der akademische Feingeist mit den «langen, schlanken Pianistenfingern», der bis dahin jeder nationalistischen Hetze unverdächtig gewesen war, offen auf die Seite der großserbischen Ultras und wurde deren beredsamster Propagandist. Bei Pressekonferenzen saß er neben Radovan Karadžić, dem Präsidenten der von Bosnien-Herzegowina abgefallenen «Republika Srpska», und lauschte dessen rassistischen Wutausbrüchen. Im «Buch meiner Leben» erinnert sich Hemon an eine solche Pressekonferenz: «Da saß Professor Koljević, klein, ernst und akademisch, mit großen Brillengläsern,Tweedjacke mit Wildlederflecken, die Ellbogen aufgestützt, die langen Finger locker aneinandergelegt wie zum Gebet oder Applaus. Anschließend trat ich zu ihm, um ihn höflich zu begrüßen, in der Annahme, dass uns die Liebe zu den Büchern noch immer verband. ‹Halt dich da raus›, sagte er. ‹Bleib bei der Literatur.›»
    Koljević unterstützte die blutige Serben-Politik der ethnischen Säuberungen, befürwortete die Bombardierung von Sarajevo, leugnete die Existenz von Folterlagern, stritt alle Massaker ab und ließ sich sogar zum Stellvertreter Radovan Karadžićs wählen. Angeblich war Koljević auch das Mastermind hinter einer berüchtigten barbarischen Untat: Er soll zur Bombardierung und Niederbrennung der Bibliothek von Sarajevo angestiftet haben.
    In Chicago saß unterdessen der Flüchtling Aleksandar Hemon vor dem Fernseher und sah die Bibliothek brennen: «Ich sah die Bibliothek von Sarajevo in geduldigen, zielstrebigen Flammen aufgehen. Die infernalische Ironie, die darin lag, dass ein (schlechter) Dichter und ein Literaturprofessor für die Vernichtung von Hunderttausenden Büchern sorgten, entging mir keineswegs.»

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