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Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Titel: Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Löffler
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aufgrund der Kälte, zurück in ihre Behausungen trotten.Ihre Schultern hängen, die Hände stecken tief in den Taschen, ihre Haut hat eine pudrig graue Färbung. Was zieht sie von Jamaika und Trinidad in diese herzlose Stadt, wo die Kälte direkt aus den Steinen der Straße steigt, wo man die Stunden des Tageslichts mit mühseliger Arbeit zubringt und die Abende um einen Gasofen gedrängt, in einem gemieteten Zimmer, wo sich die Tapete von der Wand löst und die Sitzmöbel durchgesessen sind? Sicherlich sind sie nicht alle hier, um als Dichter berühmt zu werden.
    Die Leute, mit denen er arbeitet, sind zu höflich, um ihre Meinung über ausländische Besucher zu äußern. Trotzdem schließt er aus ihrem Schweigen in bestimmten Momenten, dass er nicht erwünscht ist in ihrem Land, nicht wirklich erwünscht. Sie schweigen auch zum Thema Westinder, aber er kann die Zeichen lesen. NIGGER GO HOME steht an den Mauern geschrieben. NO COLOURED verkünden Schilder in den Fenstern von Pensionen. Monat für Monat verschärft die Regierung ihre Einwanderungsgesetze. Westinder werden im Liverpooler Hafen aufgegriffen und eingesperrt, bis sie verzweifeln, dann werden sie wieder dahin zurückgeschickt, woher sie kamen. Wenn man ihn nicht spüren lässt, dass er so total unerwünscht ist wie sie, kann das nur an seiner Tarnung liegen: an seinem Moss-Brothers-Anzug, seiner hellen Haut.»
    Doris Lessing und Vidia S. Naipaul haben ihr Leben lang, ohne allzu große Verrenkungen, autobiographisch geschrieben. John Maxwell Coetzee, der Jüngste, intellektuell Anspruchsvollste und Abweisendste der drei, geboren 1940, wählt komplexere Verfremdungsverfahren, um das Autobiographische zu verhüllen, das eigene Ich hinter einem distanzierenden «Er» zu verdecken und den Fiktionscharakter des Erzählten zu betonen. Wenn Coetzee von sich selbst spricht, dann nur verborgen hinter Schleiern von Fiktionen. Anders und mit einem südafrikanischen Bild gesagt: Um den möglichen autobiographischen Kern seiner Kindheits- und Jugenderinnerungen baut Coetzee eine schützende Wagenburg von Erfindungen.
    Das subversive literarische Projekt dieses Autors besteht vor allem darin, die konventionellen Gattungsformen des Romans und der Biographie zu untergraben und deren Fragwürdigkeiten als Fiktionen hervorzukehren.Das gilt erst recht für seine semi- oder pseudo-autobiographischen Bücher, die das Genre Biographie bewusst unterminieren und zugleich überschreiten wollen: die Trilogie von «Szenen aus einem provinziellen Leben», die mit «Der Junge» (1998) und «Die jungen Jahre» (2002) begann und mit «Sommer des Lebens» (2010) ihren Abschluss fand.
    Es geht Coetzee darum, bei der Leserschaft den beliebten und offenbar nicht auszumerzenden Kurzschluss vom Werk eines Autors auf sein Leben zu suggerieren und zugleich zu dementieren, ja zu unterbinden. Sein literarisches Credo: Es gibt keine biographische Wahrheit, auch die Autobiographie ist ein literarisches Konstrukt, eine Erfindung. Man könnte die drei Bände daher als autobiographische Fiktionen oder autobiographische Romane bezeichnen, wobei die Fiktionalisierungen darauf angelegt sind, den gutgläubigen Leser zu verunsichern und seine Leichtgläubigkeit hinsichtlich der Zuverlässigkeit von Autobiographien immer mehr zu verwirren.
    Um zu verstehen, mit welch belastendem familiären Gepäck der junge Coetzee im Jahr 1962 in England ankam, hilft ein Blick in den Roman «Der Junge», in dem er «Eine afrikanische Kindheit» erzählt, die – bei allen fiktionalisierenden Vorbehalten – doch deutlich als Coetzees eigene zu erkennen ist, in Kapstadt und Umgebung. Coetzee führt einen musterhaften und zugleich zerquälten Jungen zwischen acht und dreizehn vor. John ist ein freudloses Kind, verschlossen und empfindlich, zerrissen zwischen einer englischen und einer burischen Herkunft, voller Abwehr gegen die aufopfernde Liebe seiner starken Mutter, voller Scham über den schwachen, depressiven Vater, voller Angst vor dem Versagen und dem sozialen Absturz in der komplizierten Rassen- und Klassenhierarchie des Apartheid-Staates Südafrika.
    Â«Sein Herz ist alt, es ist finster und hart, ein Herz von Stein. Das ist sein verächtliches Geheimnis», urteilt Coetzee mit aller Kälte über den Zwölfjährigen, der er einmal war. Die Grunderfahrungen, die

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