Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler
Kanadier oder US-Amerikaner sind, in Felder wie Medien, Politik, Musik, Risikokapital oder Design vor. Sie arbeiten und leben in Städten auf der ganzen Welt verstreut. Selasi charakterisiert sich und ihre Altersgruppe als hochgebildet, weltgewandt, mehrsprachig und nicht fixiert in ethnischer, geographischer, nationaler oder kultureller Hinsicht. Diese jungen Leute sind «Afropoliten: nicht Weltbürger, sondern Weltafrikaner». Dass es sich dabei um eine sehr begrenzte und privilegierte demographische Gruppe handelt, mehr Klasse als Rasse, räumt die Autorin ein.
Afropoliten, wie Taiye Selasi sie definiert, formen ihre Identität selbst aus, in mindestens drei Dimensionen â national, ethnisch und kulturell, mit allen feinen Spannungen dazwischen. Man findet unter ihnen lauter aufregende ethnische Mischungen, die sich in der Geschichte der «Blackness» ganz unterschiedlich verorten. Sie sprechen neben Englisch und ein, zwei romanischen Sprachen auch noch das eine oder andere indigene afrikanische Idiom. Und in ihrem Lebensstil und ihrem kulturellen Selbstverständnis kombinieren sie beispielsweise New Yorker Jargon, amerikanischen Akzent, Londoner Mode und afrikanische Wertvorstellungen mit europäischer Bildung und akademischen Erfolgen an erstklassigen Universitäten.
Beim Besuch der elterlichen Herkunftsdörfer im afrikanischen Hinterland beschleicht sie regelmäÃig ein Schamgefühl: «Es bleibt unklar, ob wir uns schämen, weil wir nicht mehr über die Kultur unserer Eltern wissen oder weil diese Kultur zu wenig â¹modern⺠ist.» Die jungen Afropoliten haben von sich selbst den Eindruck, «schwarz» zu sein, können aber den Vorwurf, sich «weià zu verhalten», oft nur schwer entkräften. Manchmal haben sie deshalb das Gefühl, als hätten sie sich zwischen den Welten verirrt: Selasi nennt das «lost in transnation».
Im 21. Jahrhundert, behauptet Selasi, habe sich «das Image von jungen Afrikanern im Westen von trottelig zu umwerfend gewandelt». Was sie gemeinsam auszeichne, sei ein neues afropolitisches Bewusstseinund ein multidimensionales Denken. Sie lehnen Klischees und Vereinfachungen ab; vielmehr geht es ihnen darum, Afrika aufs Neue zu verkomplizieren. Sie verstehen, was in Afrika falsch läuft, wollen aber lieber würdigen, was wunderbar und einzigartig ist. Ihr Interesse gilt nicht den stereotypen simplen Afrika-Bildern, sondern der kulturellen Komplexität des Kontinents â Kunst, Musik, Mode, Literatur. Es ist ihnen darum zu tun, sich mit jenen kulturellen Aspekten auseinanderzusetzen, die ihnen am meisten bedeuten, sie zu kritisieren und zu zelebrieren. Die hybriden Mischungen sind es, die sie faszinieren. Sie verstehen sich als neue intellektuelle, urbane Avantgarde mit einer frei gewählten Patchwork-Identität. Und sie reklamieren die kulturelle Deutungshoheit über ihre eigenen Aufstiegs- und Erfolgsgeschichten.
Diese Elite-Afrikaner des 21. Jahrhunderts sind sich zwar der klassischen Fehlentwicklungen Afrikas durchaus bewusst â Armut, Korruption, Bürgerkriege und ethnische Massaker, Hungersnöte, Dürrekatastrophen, Krankheiten, Ausplünderungsgier kleptokratischer einheimischer Machteliten â, doch sie lassen sich in ihrem Selbstgefühl nicht von den dominanten tristen Mediendarstellungen ihres Herkunftskontinents bestimmen. «Wir wählen selbst aus, welche Teile einer nationalen Identität (vom Pass bis zur Aussprache) wir als zentrale Merkmale unserer Persönlichkeiten internalisieren.» In Taiye Selasis Fall ist ihr persönliches Identitätsgefühl eine besonders exklusive Mischung: «Nigerianisch zu sein heiÃt, einer leidenschaftlichen Nation anzugehören; Yoruba zu sein heiÃt, das Erbe einer spirituellen Tiefe zu tragen; amerikanisch zu sein heiÃt, sich auf eine kulturelle Bandbreite zu berufen; britisch zu sein heiÃt, schnell die Zollkontrolle passieren zu können.»
Selasis euphorische «Afropoliten»-Hymne klingt auch nach Selbstgefälligkeit. Das ist der Autorin nicht entgangen: «Wenn all das ein bisschen nach â¹Sind wir nicht die verdammt coolsten Menschen der Welt?⺠klingt, dann sage ich: Ja, das stimmt, es geht nicht anders. Es ist höchste Zeit, dass die Afrikaner selbstbewusst aufstehen.»
Umso aufschlussreicher ist es, die jubelnde Proklamation stolzen Weltafrikanertums in Taiye Selasis Essay mit
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