Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Follath
Vom Netzwerk:
zwei auf den einschlägigen Listen der mächtigsten Frauen der Welt, mal ist die eine vorn, mal die andere. Daraus eine Rivalität zu konstruieren oder gar Neid, wäre sicher abwegig. Und es spricht ja eigentlich viel dafür, dass sich die zwei wichtigsten Politikerinnen der Welt gut verstehen: Beide sind durch eine Jugend in autoritären Systemen geprägt. Beide haben sich gegen alle Wahrscheinlichkeiten durch ihr Können, ihren Ehrgeiz und ihre politischen Instinkte an die Spitze gearbeitet – und männlichen Mentoren einiges zu verdanken. Beide sind Wissenschaftlerinnen, nüchterne, abwägende Realpolitikerinnen, die nicht zu übermäßiger Spontaneität neigen und weniger aus dem Bauch heraus entscheiden als vom Kopf her. Beide haben bewiesen, dass sie mit hohem Geschick und Machtbewusstsein Konkurrenten ausschalten können. Warum also diese seltsame Distanz? Warum empfinden die beiden demokratisch gewählten Führerinnen den Umgang mit einem autoritären Herrscher wie dem chinesischen KP -Chef Xi Jinping offensichtlich leichter als den Umgang miteinander?
    Vielleicht liegt ein Schlüssel der Erklärung in dem unterschiedlichen Umgang der beiden mit der staatlichen Gewalt, die ihre Jugend geprägt hat. Die DDR war ein spießiger Unrechtsstaat, keine blutrünstige Militärdiktatur wie Brasilien. In Ostdeutschland konnte man Dinge verändern, ohne sich in Lebensgefahr bringen zu müssen oder langjährige Gefängnisstrafen zu riskieren (obwohl das entschiedene Regimegegner taten). Merkel hat das DDR -System eher vorsichtig und von innen heraus zu kritisieren als es zu revolutionieren versucht, hat in der FDJ mitgearbeitet. Ihr Widerstand zeigte sich allenfalls beim frechen Umdichten eines KP -konformen Lieds (Eintrag ins Klassenbuch) und dem privaten Schmuggel eines Solidarno ść -Aufrufs aus Polen (ohne Folgen). Ihr oberstes Credo in der DDR -Zeit glich dem von Millionen anderer: ein anständiges Leben führen, ohne jemandem zu schaden. Sie behauptete nie, eine Dissidentin gewesen zu sein, die für ihre Auffassungen die Karriere oder gar noch mehr riskierte. Später hat sie sich in oppositionellen Kirchenkreisen engagiert und 1989 beim »Demokratischen Aufbruch« mitgemacht. Das erforderte eine aufrechte Haltung, eröffnete aber auch die Möglichkeit eines Kampfs für Bürgerrechte ohne Risiko für Leib und Leben.
    Rousseff hatte die Wahl eines relativ risikolosen Dissidententums, einer oppositionellen Nischensuche nie. Für sie gab es keine Zwischenstufen des Widerstands. Aufrechte Haltung in ihrer Heimat bedeutete das Abbrechen von Brücken. Den Gang in den Untergrund, verbunden mit allen existenziellen moralischen Fragen, nicht nur für sich selbst, sondern auch für den Umgang mit anderen: Ist der Gebrauch von Waffen erlaubt, und wenn ja, gegen alle Repräsentanten des Regimes bis hin zum einfachen Polizisten und Soldaten? Und auch wenn ich nicht selbst abdrücke und Gewehre nur weiterschmuggle, bin ich nicht verantwortlich für deren späteren Einsatz und die Folgen? Rousseff brauchte Waghalsigkeit und Leidenschaft, um zur Guerillera zu werden. Sie musste mit dem Tod anderer, dem Leid, das sie ihrer Familie – und sich selbst – zufügte, leben. Sie musste sich ständig fragen, wie sie unter Folter wohl reagieren würde, was ein möglicher Verrat an Freunden anrichten könnte. Der Lieblingsfilm der Brasilianerin war und ist Antigone , die tragische Geschichte der Eingemauerten. In Schwarzweiß. Der Lieblingsfilm der Deutschen war und ist Die Legende von Paul und Paula , das bittersüße Beziehungsdrama einer Fast-Ausbrechenden. In Bonbonfarben.
    Angela Merkel konnte viele ihrer während 35 Lebensjahren in der DDR erworbenen Fähigkeiten für ihr neues Leben einsetzen: Planung, Struktur, Ordnung waren auch in der Bundesrepublik von Nutzen. Preußisches Pflichtgefühl und calvinistische Arbeitsethik kamen hinzu. Sie bewundert andererseits Menschen für Fähigkeiten, über die selbst nicht verfügt. »Merkel analysiert sich ihr Weltbild zurecht. Sie wägt Argumente, sammelt bienenfleißig Fakten, tariert aus. Das Problem bei dieser dialektischen Veranlagung: Merkel moderiert lieber, sie meint nicht so gern. Sie ist die Antithese zu jedem Impulspolitiker und Ideologen«, schreibt ihr Biograf und journalistischer Begleiter in der Außenpolitik, Stefan Kornelius in seinem Buch über Die Kanzlerin und ihre Welt . Dies führt zu einer Vorliebe für distanzierte, ruhige, höfliche und zuhörungsbereite Partner wie

Weitere Kostenlose Bücher