Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Stadtentwicklung vorgetragen hat. Immerhin aber hätten Bombays Stadtväter »im Prinzip« schon 2005 seinen Plänen zugestimmt. Später wurde auch eine Slum Rehabilitation Authority gegründet, die Behörde arbeitet nun schon 15 Jahre, verändert und justiert die Pläne.
Hier und da wurde ein Anfang gemacht, aber Entscheidendes ist noch nicht geschehen. »Das liegt an den Dharavi-Bewohnern. Ich bewundere sie für ihren Überlebenskampf, aber sie sind falsch beraten«, meint der Architekt. Schuld sieht Mehta vor allem bei den Anwälten und Menschenrechtsgruppen, die sich an die Familien im Slum heranmachten. »Die indische Demokratie ist etwas Großartiges. Manchmal wünschte ich mir allerdings schon Verhältnisse wie in Schanghai, die Autorität zum Durchgreifen. Wir diskutieren Jahre über Jahre, dann wechseln die Regierungen, dann kommen die Gerichte als Bremser – und in einem vergleichbaren Zeitraum haben die Schanghaier schon ganze Landstriche enteignet, eine Magnetbahn zum Flughafen und ein ganzes U-Bahn-System aus dem Boden gestampft.«
Zwischenzeitlich haben internationale Investoren wie Limitless aus Dubai, CapitaLand aus Singapur und die – später spektakulär pleitegegangene – amerikanische Investmentbank Lehman Brothers ihr Interesse an dem »Slum to Sale« bekundet. Sie alle hätten sich wegen bürokratischer Hürden zurückgezogen, erzählt Mehta. Er bleibe aber hoffnungsfroh. In seiner Freizeit ist er ein begeisterter Segler und Mitglied im prestigeträchtigen Royal Bombay Yacht Club – dort erholt er sich vom Slum. »Alles könnte so schön werden«, seufzt er bei unserem Termin. Und holt sich einen Pullover aus dem Nebenraum. Wieder einmal habe jemand die Klimaanlage in seinem Büro zu kalt eingestellt. Mukesh Mehta rollt die Augen nach oben, als wolle er sagen: Wenn man nicht alles selber macht.
Zwölf Uhr mittags in Bombay. Zeit für einen Snack. Bei den hektischen Händlern des Reichtums an der Börse, einem 28 Stockwerke hohen Glasturm im südlichen Finanzdistrikt, ist es meist ein mitgebrachtes Sandwich. Bei den Outsourcing-Firmen der neuen Mittelklasse, wo die Krankenhäuser von Los Angeles bis London ihre Abrechnungen checken lassen und wo Telefonistinnen, die sich Mary nennen (und in Wahrheit Meenakshi heißen), Beschwerden über Autos aus Detroit entgegennehmen, liefern meist die Dabbawallahs den Lunch ins Büro. Sie sind ein erstaunliches Beispiel für das, was in dieser Stadt funktioniert: Gut 5000 Zusteller liefern täglich rund 200000 Essen aus, das in speziellen Küchen individuell zubereitet wird. Verpackt sind sie in mehrteiligen Boxen, die so mit Farben, Buchstaben und Ziffern kodiert werden, dass auch bei mehrfachen Übergaben auf dem Weg vom Sender zum Empfänger keine Fehler passieren. Trotz des preiswerten Lunchs und der geringen Gebühren, die von den Dabbawallahs verlangt werden: Für den Dharavi-Slum ist das alles zu teuer. Da kochen die Familien, wenn sie denn überhaupt zur Mittagsstunde die Arbeit unterbrechen, schnell ein Curry-Gericht.
In Dharavi gibt es einige sogenannte Hauptstraßen, die 90 Feet Road etwa, die schon im Namen etwas von ihrer relativen Großzügigkeit aussagt, und wo der Slum ganz passabel aussieht, nach unterer Mittelklasse. Aber jenseits dieser wenigen Verkehrsadern geht es links und rechts in Seitengässchen, auf Holzplanken über stinkende Abwasserkanäle, vorbei an Müllkippen und gefährlich in Kopfhöhe verschlungenen Drähten in einen urbanen Dschungel. Gleichförmig wirken die Elendshütten auf den ersten Blick mit den winzigen, verschachtelten Räumen, in denen die Menschen im Schichtbetrieb schlafen, weil ein Bett viel zu kostbar ist, um nur von einem genutzt zu werden. Die Einrichtung: ein Fernseher, eine Gasflasche, ein Regal, ein Klappstuhl. Die Wäsche baumelt auf einem abenteuerlichen Gestell. Erst auf den zweiten Blick erkennt man, wie individuell Dharavi ist: An einer Feuerstelle, von ölgetränkten Lumpen beheizt, backen halbnackte Männer Chapati-Brote, Dutzende, Hunderte. In winzigen Werkstätten wird ohne jede Schutzvorrichtung geschweißt, gegerbt, getöpfert. Der Großstadtslum zerfällt in Regionaldörfer: Die Menschen aus dem südindischen Tamil Nadu sind auf Lederwaren spezialisiert, die aus dem Bombay-nahen Bundesstaat Gujarat töpfern Geschirr, die meist muslimischen Zuwanderer aus Uttar Pradesh basteln Spielzeug.
Der Hauptverdienstzweig der jungen Männer ist das Finden, Sortieren und Verwerten von Abfall, denn
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