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Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Follath
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den Index setzte. Stattdessen ging er zur UNO , 22-jährig. Nach einem Zwischenaufenthalt im Flüchtlingshilfswerk in Genf und Singapur, wo er die Hilfe für vietnamesische Bootsflüchtlinge koordinierte, wurde Tharoor 1998 zum Kommunikationsdirektor der Vereinten Nationen ernannt, beim Weltwirtschaftsform in Davos zu einem der »globalen Führer von morgen« gewählt; 2002 war er als Untergeneralsekretär schon Vize von Kofi Annan.
    Vier Jahre später treffe ich ihn – da gilt Tharoor, gerade fünfzig Jahre alt geworden, als Mitfavorit für die Nachfolge des UNO -Chefs. Neben seiner politischen Karriere hat er auch schon in der Literatur für Furore gesorgt, er gilt als einer der herausragenden Schriftsteller seines Landes. Der große Roman Indiens hat den Commonwealth Writers’ Price erhalten, sein politisches Sachbuch Indien: Zwischen Mythos und Moderne ist schon ein Standardwerk. Er schreibt vor und nach unserem Interview im Hotelzimmer, weiter im Flugzeug über dem Atlantik, in UNO -Sitzungspausen. Und auch die internationale Partywelt und die Glitzermagazine haben den blendend aussehenden Star vom Subkontinent nach einem intensiven Flirt mit der Schauspielerin Nicole Kidman unter besonderer Beobachtung. Wir haben uns bei unseren Begegnungen damals meist über die große Politik unterhalten, aber später auch über Privates – da kam dann ein ganz anderer Tharoor zum Vorschein als unter dem Scheinwerferlicht der internationalen Bühne.
    »In unserer Wohnung gab es immer einen Gebetsraum, wo Porträts ausgewählter Gottheiten auf dem Regal und an den Wänden mit vergilbten Fotos von verstorbenen Verwandten um einen Platz kämpften«, beschrieb er einmal seine Jugend. »Alles war mit dem Weihrauch bestäubt, den meine gläubigen Eltern Tag für Tag verbrannten. Jeden Morgen rezitierte mein Vater seine Sanskrit-Mantras. Nie zwang er mich mitzusingen; er war ein lebendiges Beispiel für den Hindu-Gedanken, dass die Religion eine höchst persönliche Angelegenheit ist und dass das Gebet zwischen dem Einzelnen und seiner wie immer auch gearteten Schöpfergestalt stattfindet. Ich sollte nach dieser indischen Art meine eigene Wahrheit finden. Ich fühle mich intellektuell wie emotional wohl im Hinduismus. Das ist eine Religion ohne etablierte Kirche und ohne Papst. Eine Religion, die mich nicht dazu verpflichtet, meine Identität einem Kollektiv unterzuordnen, und auch nicht zu Kulthandlungen an einem bestimmten Tag oder in einer bestimmten Häufigkeit. Als Hindu bekenne ich mich zu einem Glauben, der keine einschränkenden Dogmen einer heiligen Schrift besitzt. Und noch etwas, das mir ganz wichtig ist: Ich gehöre einer Weltreligion an, die nicht den Anspruch erhebt, die einzig wahre zu sein. Es gefällt mir sehr, meinen andersgläubigen Mitmenschen ohne die Belastung gegenübertreten zu können, mich auf dem wahren Weg zu befinden, den sie verpasst haben – eben dieses Dogma des Alleinseligmachenden, Missionierenden ist für das Judentum, die Christenheit und den Islam zentral.«
    Aber doch nicht alle denken so, entgegne ich – wie könnte sich sonst die Toleranz bei manchen in das Gegenteil verkehren, zum mörderischen Fundamentalismus führen? Da seufzt Tharoor, der sich manchmal wie ein Fremder in seinem eigenen Land fühlen muss. »Wenn im Namen eines falsch verstandenen Hinduismus Heiligtümer entwürdigt und in seinem Namen Andersgläubige attackiert wurden, ist das Anlass zu Scham und Sorge. Aber das hat nichts mit dem Glauben zu tun, den ich kenne und praktiziere. Unsere Freiheit wurde aus Blut geboren, unsere Unabhängigkeit ist mit Blut getränkt, das ist wahr. Aber wir wurden erzogen, den Pluralismus Indiens für etwas Selbstverständliches zu halten. Wir sind, als die Briten das Land verließen, nicht in die Falle getappt, neben Pakistan einen Staat nur für die Hindus aufzubauen. Das 1947 entstandene Indien hat eine klare Trennung vollzogen zwischen Tempel und Staat. Den indischen Säkularismus setzten wir allerdings anders als viele im Westen nicht mit der Abwesenheit von Religion gleich – er bedeutet eine Überfülle von Religionen, von denen keine einzelne staatlich privilegiert wurde. Es gibt keinen Grund, darauf nicht stolz zu sein, es gibt jeden Grund, den Kommunalimus, den Kampf gegen die anderen Religionsgemeinschaften, zu beenden.«
    Tharoor wurde damals natürlich nicht UNO -Generalsekretär – er unterlag Ban Ki-moon, dem südkoreanischen Kompromisskandidaten. Wohl, weil die Chinesen

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