Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Dreh- und Angelpunkt des Sklavenhandels der portugiesischen Kolonialherren, die ihre Schiffe vor allem in die Regionen des heutigen Nigeria und Benin in Westafrika schickten. Die meisten Männer waren Angehörige der Yoruba-, Ewe-, Fon- oder Bantu-Stämme. Mehr als jeder zweite der etwa vier Millionen Zwangsarbeiter landete in Salvador. Hier auf den Märkten gab es die größten und schlimmsten Verkaufsauktionen für die in Ketten gelegten und zur Schau gestellten Verschleppten.
Die Drei-Millionen-Metropole Salvador, Hauptstadt der Provinz Bahia, trägt heute einen erstaunlich unbeschwerten Beinamen: Capital de Alegría , Kapitale der Freude. Für manche, die hier in den Favelas leben müssen, mag das wie Hohn klingen. Aber für Besucher (und die wohlhabende nordbrasilianische Mittelschicht, die hier lebt) ist die Bezeichnung mehr als nachvollziehbar: Es fällt schwer, sich dem pulsierenden Rhythmus, der Lebenslust Salvadors zu entziehen. Kenner halten den hiesigen Karneval für faszinierender sogar als den in Rio, vom »größten Fest der Welt« sprechen selbstbewusst die Soteropolitanos, wie sich die Einheimischen nennen. Und auch ohne den Massenauflauf zum großen Fest Anfang Februar ist hier jeder Tag ein Stück Karneval.
In den Straßen klingen aus den Kneipen mitreißende Trommelwirbel, auf den Plätzen der Altstadt Pelourinho demonstrieren Künstler den akrobatischen Kampftanz Capoeira, in Hinterhofbars grillen korpulente Köchinnen Garnelen in dem orangefarbenen Öl der Dendê-Palme und reichen Caipirinhas, die es in sich haben. Die prächtige koloniale Barock-Architektur verträgt sich auffallend gut mit dem afrikanischen Antlitz der Stadt – über 80 Prozent der Einwohner sind dunkelhäutig, fast alle Nachkommen von Sklaven. Und überall Spuren der Candomblé-Religion: Bunte Teller stehen in der Oberstadt unter Bäumen und Büschen, auf denen den Göttern Früchte dargeboten werden, auch Zigarren und Zuckerrohrschnaps. Anspruchsvoll und lebenslustig und manchmal auch blitzzornig sind die Himmlischen, und jeden Morgen treiben von der Unterstadt aus rote Blüten als Opfergabe ins Meer, um sie zu besänftigen.
Fast 3000 Kultstätten soll es in der Region geben, aber so genau lässt sich das nicht feststellen, denn die Terreiros liegen oft versteckt in Hinterhöfen ganz normaler Häuser. Mit ein bisschen Glück werden ausländische Gäste auch zu einer Candomblé-Zeremonie mitgenommen, jedenfalls zu dem Teil, der den Gläubigen nicht ganz so wichtig ist wie die im kleinen Kreis der Eingeweihten verbrachten Anfangsminuten. Meist ist der Ort schon Tage zuvor von bösen Geistern gereinigt und sorgfältig ausgekehrt und ausgewaschen worden, Tieropfer in der Vorwoche sind üblich. In vielen der kleinen Haustempel hängen inzwischen auch christliche Kreuze. Man sichert sich religiös zusätzlich ab, man passt sich an. Nicht so in diesem Tempel, der Terreiro do Oloroke, wo eher auf Abgrenzung, Identität und eigenständige Kraft gesetzt wird. Auf die eine Lehre.
Das Erste, was auffällt, ist der Duft: eine merkwürdige Mischung aus Weihrauch und Palmöl. Die Frauen tragen rüschenverzierte weiße Kleider mit Spitzenröcken und sitzen links; die schlichtgekleideten Männer hocken ihnen gegenüber. Auf einem mit Götterbildern verzierten, besonders geschnitzten Holzstuhl hat die Mãe de Santo Platz genommen, die Zeremonienmeisterin. Sie achtet darauf, dass die Axe , die spirituelle Kraft, die ein dynamisches Leben garantiert und den Alltag bestimmt, nicht den Raum verlässt. Eine Ecke des großen Raumes ist für die Musiker reserviert, sie sind wesentlicher Bestandteil bei der Anrufung der Gottheiten. Mehr noch: die richtigen Klänge gelten als Ausdruck der heiligen Stimmen. Drei Künstler beugen sich über ihre verschieden großen Trommeln – und dann legen sie los. Hände zucken, Finger tanzen, schmale Stöcke wirbeln über die Instrumente, denen weibliche und männliche Eigenschaften zugeschrieben werden, die entweder als traurig oder als lustig gelten, eigene Persönlichkeiten: Agogo werden die Schellen genannt, die Xequeré, gitarrenartige Instrumente aus Kürbis, verstärken den Rhythmus.
Vom ersten Moment an lässt sich eine magische Kraft spüren, die sich auf die Gläubigen überträgt. Die immer wiederkehrenden Klangmuster haben etwas Packendes, Hypnotisierendes. Sie sollen Exu, dem Götterboten, besondere Ehre erweisen – nur er, der ewig Reisende zwischen den Welten, kann die Kommunikation zwischen
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