Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
auch seiner eigenen Ideen und Akronyme.
Damals im Jahr 2001, erzählt er, habe er nicht geahnt, dass seine Studie »Building Better Global Economic BRIC s«, das Goldman Sachs Global Economic Paper Nummer 66, zu einem dermaßen durchschlagenden Erfolg werden und ein weltweites, lang anhaltendes Echo auslösen würde. Wahrscheinlich aber sei die Zeit gerade für solche neuen Gedanken reif gewesen. »Sie müssen sich die Situation vergegenwärtigen, in der ich mir das Konzept ausgedacht habe. Es war kurz nach 9/11. Die Terroranschläge von New York und Washington hatten mich in meiner Auffassung bestärkt, dass die westliche Dominanz durch irgendetwas anderes abgelöst oder zumindest ergänzt werden müsste. Wenn die Globalisierung weiter Erfolg haben sollte, durfte sie nicht unter amerikanischer Flagge daherkommen. China, Indien, Russland und Brasilien schienen mir allein von der schieren Größe und ihrer Bevölkerungszahl her das ökonomische Potenzial zu haben. Was die Schwellenländer verband und bis heute verbindet, sind neben dem Misstrauen gegenüber dem Westen ihre blendenden Zukunftsaussichten.«
Aber mindestens ebenso offensichtlich ist doch, was sie trennt, Mister O’Neill?
»Ja, das war mir schon klar: Politisch und auch von ihren Wirtschaftssystemen her könnten sie kaum unterschiedlicher sein. Aber das ist in diesem Kontext zweitrangig. Und die BRIC -Staaten haben dann ja selbst meine kühnsten Prognosen übertroffen. Ihre ökonomische Leistung innerhalb eines guten Jahrzehnts ist von drei Billionen Dollar auf 13 Billionen gewachsen – Südafrika lasse ich mal weg, über deren Aufnahme in den Club bin ich ohnehin nicht glücklich, aber sonst, schauen Sie sich das nur an: Brasilien plus 47 Prozent, Russland plus 65 Prozent, Indien plus 120 Prozent, China plus 195 Prozent! Die BRIC s haben das Potenzial, die weltweite Rezession abzuwenden und schneller zu wachsen als der Rest. Sie haben die Chance, uns alle als Lokomotive mitzuziehen.«
Aber auch der ewige Berufsoptimist kann doch nicht leugnen, dass die BRICS im vergangenen Jahr wirtschaftlich enttäuscht haben und dass es auch derzeit alles andere als glänzend läuft. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2013 haben die Börsen der wichtigsten drei BRICS -Staaten verloren: China um 12,2 Prozent, Indien um 0,4 Prozent, Brasilien sogar um 20,9 Prozent, während der Dow Jones und der Dax deutlich anstiegen. O’Neills Konkurrent Ruchir Sharma von Morgan Stanley Investment Management hat sogar schon das Ende des Wunders in den Emerging Markets ausgerufen, Broken Brics schrieb er, die neuen Ziegelsteine der Weltwirtschaft seien zerbrochen.
O’Neill ärgert das, aber noch mehr verwundert ihn, »dass ein Teil der Presse diesen Unsinn brav nachbetet«. Noch immer sind die BRICS seiner Meinung nach besonders dynamisch. China erlebe derzeit hauptsächlich deshalb keine Rekordwerte mehr, weil es aus strukturellen wie aus zyklischen Gründen langsamer wachse, für ihn ein planmäßiger Abschwung, hauptsächlich aus Sorge vor Überhitzung und Inflation. »Mich hat bei meinen Besuchen dort immer wieder verblüfft, wie undogmatisch die Partei in der Wirtschaftspolitik entscheidet«, sagt O’Neill. »Von der neuen politischen Führung erwarte ich mir nicht allzu viel Wagemut, aber die vorsichtige Fortsetzung der begonnenen Reformen, hin zu höherem Lebensstandard und einer Verringerung der Kluft zwischen Arm und Reich.«
Und die übrigen BRICS ? »Brasilien muss mehr fürs Wachstum tun, hat aber langfristig durch seine Rohstoffe und eigene Industrieleistungen beste Möglichkeiten. Indien agiert derzeit unter seinen Möglichkeiten. Die Regierung in Neu-Delhi sollte mehr für ausländische Direktinvestitionen sorgen und benötigt dringend neue Impulse – es wird einfach nicht gut genug regiert. Aber Indien bleibt für Investoren hochinteressant. Russland allerdings muss sich endlich von seiner Abhängigkeit von Öl- und Gasexporten lösen, dann hat es Chancen, kontinuierlich etwa 4 Prozent pro Jahr zuzulegen.«
Natürlich sind für ihn die BRICS ein zentraler Bezugspunkt, »die haben ihre Existenz als Gruppe wesentlich mir zu verdanken, wenn ich das in aller Bescheidenheit anmerken darf«. Allerdings nicht der einzige Bezugspunkt. Emotional wird der Banker, wenn es um seinen Fußballclub geht und vielleicht auch beim Schutz seiner Familie (»Mein Privatleben ist tabu für die Presse«). Bei Geschäftsinteressen bleibt er kühl. Nein, er würde niemals sagen,
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