Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Wirtschaftsnobelpreisträger treibt die persönliche Enttäuschung über missglückte oder zu langsam greifende Reformen in seiner Heimat um und macht ihn vielleicht weniger kritisch gegenüber dem großen Konkurrenten China; als Wissenschaftler hat er außerdem nicht den Zwang, sich in die Ebenen der politischen Durchsetzbarkeit von Konzepten zu begeben. Der chinesische Ex-Premier von Singapur pflegt durch seine Lebensgeschichte und seine Erfahrungen besonders deutliche Vorbehalte gegenüber dem Westen, seinen politischen Kursschwankungen und Auswüchsen; er ist deshalb womöglich bereit, zu viele Fehlentwicklungen der Schwellenländer zu tolerieren.
Das entwertet die Erkenntnisse der großen drei aber keineswegs. Es relativiert sie nur ein bisschen. Und es zeigt, dass es keinen Sinn ergibt, sich hinter den Experten zu verstecken und auf eigene Prognosen zu verzichten. Deshalb zum Ende dieses Buches der persönliche Versuch, in acht Thesen festzuhalten, wo die neuen und alten Großmächte heute stehen und wo sie in einem Jahrzehnt voraussichtlich stehen werden. Und eine Analyse, was die Entwicklung der großen Schwellenländer für Europa und besonders für uns in Deutschland bedeuten könnte.
THESE EINS: BRASILCHINDIA ist rasant auf der Überholspur – droht aber, ausgebremst zu werden.
Wir erleben unbestreitbar eine Zeitenwende: Zum ersten Mal in den vergangenen 150 Jahren hat die gemeinsame Wirtschaftsleistung der drei führenden Staaten des Südens das kombinierte ökonomische Ergebnis der führenden westlichen Industrienationen erreicht: China, Indien und Brasilien haben im Jahr 2013 gleichgezogen mit der Staatengruppe USA , Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien und Kanada. Nimmt man das BIP aller BRICS- Staaten, sind die Schwellenländer sogar schon vorbeigezogen. »Das bedeutet eine dramatische Umschichtung der globalen Verhältnisse. Der Aufstieg des Südens ist beispiellos in seinem Umfang und seiner Geschwindigkeit«, heißt es im neuesten Human Development Report der Vereinten Nationen. Noch im Jahr 1950 entsprach laut der UNO -Studie Brasilchindias wirtschaftliches Gewicht gerade einmal 10 Prozent der Weltökonomie, das der genannten West-Staaten 40 Prozent. Und die Tendenz ist eindeutig: Der Süden zieht davon. Er wird Ende der nächsten Dekade wohl schon deutlich führen und könnte nach UN -Meinung in drei Jahrzehnten etwa dort stehen, wo er 1820 schon einmal stand – bei einem Leistungsverhältnis in der Weltwirtschaft von fünfzig zu zwanzig zu seinen Gunsten (was dann in etwa auch den Anteilen an der Weltbevölkerung entspräche).
Der Aufstieg der neuen Mächte ist – trotz zwischenzeitlicher Rückschläge – unaufhaltsam. Dass in China, Indien und Brasilien eine breite neue Mittelklasse entsteht, gibt Anlass zur Hoffnung. Aber es stellt für die Herrschenden auch eine große Gefahr dar: Alexis de Tocqueville, der französische Revolutionstheoretiker und Amerika-Reisende, hat schon Mitte des 19. Jahrhunderts festgehalten, dass nicht die Unterprivilegierten die mobilisierungsfähigsten sozialen Gruppen sind, sondern diejenigen, die etwas zu verlieren haben. Der Fortschritt schafft zudem vielfach neue Diskrepanzen und Distanzen: zwischen relativ reichen Küstenregionen und dem zurückgebliebenen Landesinneren; zwischen Menschen mit Zugang zur Bildung und der vernachlässigten Dorfentwicklung; zwischen einer korrupten politischen Elite und der machtlosen Mehrheit. Diese Trends aus dem Jahr 2013 werden sich bis zum Jahr 2025, trotz aller Versuche der Regierungen gegenzusteuern, noch verstärken.
Es gibt Politikfelder, bei denen sich die neuen großen drei in den nächsten Jahren problemlos unterhaken: Sie werden die industrialisierte Welt bei der Verringerung ihres CO 2 -Ausstoßes gemeinschaftlich zur Kasse bitten. Sie werden die Macht des amerikanisch kontrollierten IWF erfolgreich zu begrenzen versuchen und mit einer eigenen Entwicklungsbank zumindest ein Gegengewicht bilden. Sie werden gemeinsam das vom Westen bevorzugte Konzept der Schutzverantwortung beerdigen, damit kann dann gar nicht mehr oder nur mehr ausdrücklich gegen die Macht der drei über Staatsgrenzen hinweg bei einem Völkermord eingegriffen werden. Nach langem Zögern – und klar umrissenen Bedingungen – wird Peking dem Aufstieg Indiens und Brasiliens (und Südafrikas) in den Weltsicherheitsrat zustimmen. Sowohl bei der Neuordnung der Macht im Nahen Osten mit den Problemstaaten Iran und Syrien wie bei der
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